Das meinen die anderen. Salomon Kalou hat sich mit seiner Leistung am Freitagabend in Hannover eine gewisse Narrenfreiheit verdient. Trotzdem hat er nicht auf die ganz große Pauke gehauen, sondern bei der Frage nach Herthas Perspektive den doppelten Potenzialis verwendet: „Diese Saison können wir vielleicht den Europapokal erreichen.“ Können und vielleicht. Doppelt gemoppelt hält besser.
Wie wird das Thema in anderen Medien beurteilt? Hertha BSC kann „wieder dezent nach oben schauen“, findet die „Berliner Zeitung“. Was die Frage provoziert: Wo landet der Blick, wenn man von Platz vier dezent nach oben schaut? Auf Platz drei?
Der „Kicker“ schreibt „Es wächst was in Berlin“ und verweist darauf, dass 20 Punkte nach zwölf Spieltagen die beste Bilanz seit der Saison 2008/09 sind. Damals hatte Hertha zu diesem Zeitpunkt sogar schon 21 und landete am Ende auf Platz vier (der allerdings anders als heute nur zur Teilnahme an der Europa League berechtigte).
In der „Berliner Morgenpost“ heißt es: „Hertha spielt nunmehr nicht nur einen ansehnlichen, ballorientierten Fußball, sondern auch einen erfolgreichen – zumindest dann, wenn Teams mit der gleichen Kragenweite die Gegner sind.“ Auch die Morgenpost bemüht die Statistik: „Seit der Einführung der Dreipunkteregel 1995/96 stand Hertha zuvor bereits vier Mal mit 20 Zählern oder mehr nach zwölf Spieltagen da. Und stets landete der Hauptstadtklub am Ende der Saison unter den ersten Sechs in der Tabelle. Das würde in dieser Spielzeit die Qualifikation für die Europa League bedeuten.“
Wie gut ist Hertha denn jetzt?
Der User Havelzander hat bei Tagesspiegel online unter unserem Vorbericht auf das Spiel von Hertha BSC bei Hannover 96 den Kommentar hinterlassen: „Gewinnt Hertha, ist das Team weiterhin voll auf Europakurs. Was macht denn dann die Tsp-Redaktion?“ Die Antwort finden sie hier.
Kein Wort von Europa, obwohl Hertha doch in der Tabelle einen Satz vom Europa-League-Platz sechs auf den Champions-League-Qualifikationsplatz vier gemacht hat. Wird man uns jetzt mangelnde Euphorie vorwerfen? Falls ja: Wir haben für unsere nüchterne Haltung einen gewichtigen Fürsprecher auf unserer Seite: Herthas Manager Michael Preetz. „Wir sind noch keine Spitzenmannschaft“, hat Preetz vor und nach dem Spiel in Hannover gesagt, obwohl die Mannschaft dort eine – zugegeben – sehr reife Leistung abgeliefert hat. Ähnlich sieht es Trainer Pal Dardai: „Letzte Woche lese ich von Krise, jetzt von Europa – das ist Quatsch.“
Was die Berliner in dieser Saison leisten und vor allem spielen, ist außergewöhnlich gut. Erst recht, wenn man bedenkt, wo die Mannschaft herkommt. Es ist beeindruckend, wie Hertha das Duell gegen Hannover – angeblich eine Mannschaft auf Augenhöhe – fast durchgängig beherrscht hat. Es ist beeindruckend, zu welchen spielerischen Fortschritten die Mannschaft bisher in der Lage war, wie sie plötzlich Fußball spielt, während ihr erstes Bestreben in der vergangenen Saison noch die Verhinderung von Fußball war. Und über Salomon Kalou müssen wir gar nicht erst reden.
Warum also soll diese Entwicklung nicht in den Europapokal führen? Hat Eintracht Frankfurt das als Aufsteiger nicht auch geschafft? Oder Borussia Mönchengladbach als Fast-Absteiger (wie Hertha in der vorigen Saison)? Kann der Erfolg nicht auch seine eigene Dynamik entwickeln so wie der Misserfolg? Hertha scheint ja in der Tat gerade die Welle erwischt zu haben.
Andererseits kann auch die eigene Geschichte als mahnendes Beispiel dienen. Vor zwei Jahren, nach dem Aufstieg, hat Hertha die Hinrunde nach einem 2:1-Auswärtssieg beim Meister Borussia Dortmund auf dem sechsten Tabellenplatz beendet. Der überraschend guten Vorrunde folgte dann eine ebenso überraschend blamable Rückrunde (nur drei Siege, zweitschlechteste Mannschaft) und Platz elf in der Endabrechnung. Schon dieses Beispiel zeigt, dass ein bisschen Nüchternheit nicht verkehrt ist. Und wenn es am Ende nur aus Selbstschutz ist.