Das neue Berlin: Ist der Holzmarkt noch gewollt?

Plakat am Holzmarkt 25: "Wenn niemand mehr in Berlin leben kann, ist es endlich ruhig."
Die Berliner Clubcommission sieht den Holzmarkt "im Fadenkreuz des Bezirksamts". Die Hoffnung auf Gespräche bleibt...
Der Holzmarkt 25 steht für Weltoffenheit und Spaß, für Verantwortung und Mehrgenerationenfreizeit. Gestern stürmten vier Ämter auf das Gelände und drohten mit Schließung…

Am Morgen danach wirkt alles wie immer… Ruhig liegt er da, der wunderbare Holzmarkt 25, der in kürzester Zeit zum Kiezliebling wurde. Ausgerechnet dieses Gelände, das für Events, Kultur und Nachhaltigkeit steht, wurde gestern überfallen. Unangekündigt standen Mitarbeiter vom Finanz-, Ordnungs-, Umwelt und Gewerbeamt vor dem Tor, das Tag und Nacht allen offen steht. Ihnen sei mit einer sofortigen Schließung durch das LKA gedroht worden, berichten die Holzmarkt 25-Macher auf Facebook. Das klingt, als handele es sich um einen Drogensumpf, ein Schmugglerareal oder ein Clan-Hauptsitz und nicht nach dem friedlichen Spaßort, der als Gegenentwurf zum Großinvestorenprojekt Mediaspree an den Start ging.

Unfaire Forderungen

Die Forderungen der Ämter, um die Schließung zu umgehen, sind ein gastronomisches Todesurteil: Ab 21 Uhr sollen keine Getränke mehr ausgeschenkt werden, ab 22 Uhr soll Ruhe herrschen und niemand mehr am Spreeufer sitzen. Das sind Auflagen, die nicht einmal zentrale Lokale in Schöneberg und Kreuzberg einhalten müssen. „Wir sprechen hier vom Ausschank auf einem Grundstück neben einer sechsspurigen Hauptverkehrsstraße, der S-Bahn, der Fern-und Regionalbahn und der Bundeswasserstraße Spree“, erläutern die Holzmarkt 25-Macher, was auch für Ämter offensichtlich sein sollte. Anwohner-Beschwerden soll es in diesem Jahr übrigens noch gar keine gegeben haben.

 

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Es liegen – selbst für unsere Verhältnisse – schockierende 72 h hinter uns. Wenn VIER Ämter (Gewerbe-, Ordnungs, Umwelt, und Finanzamt) gleichzeitig, unangekündigt auf unser Gelände kommen und uns mit unmittelbarer Schließung durch das LKA drohen, dann ist eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es geht ums Ganze! Einst sind wir angetreten einen Gegenentwurf zu Mediaspree zu verwirklichen, haben den gemeinsamen Wunsch der Anwohner und des Bezirksparlaments „Spreeufer für Alle“ umgesetzt. Und plötzlich soll uns genau das zum Verhängnis werden? Wir sollen euch – geht es nach dem Willen der Ämter – den Zugang zum Ufer massiv beschränken. Ab 21 h (Leute, da ist es noch hell!) kein Getränk mehr ausschenken und ab 22 h soll im Grunde Friedhofsruhe herrschen, möglichst keiner mehr am Spreeufer sein. Zur Einordnung: Wir sprechen hier vom Ausschank auf einem Grundstück neben einer 6-spurigen Hauptverkehrsstraße, der S-Bahn, einer Fern- und Regionalbahn und der Bundeswasserstraße Spree. Als wir das letzte Mal in den Wohnkiezen unseres schönen Bezirkes unterwegs waren, standen dort die Tische auch nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen, genossen die Berliner ihr Feierabendbier beim Späti oder in der Kneipe an einem Sommerabend vor der Tür. Wir nahmen bislang auch an, dass gerade das unsere Stadt mit-ausmacht und von der Provinz unterscheidet. Gilt das nicht mehr im neuen Berlin? Passt das zu unserem Bezirk? Warum soll ausgerechnet hier am Holzmarkt ein Exempel statuiert werden, wo wir für das öffentliche Spreeufer bereits all die Maßnahmen ergriffen haben, die gerade andernorts von Steuergeldern bezahlt werden: Parkläufer, Sicherheitsdienst, Müllkonzept, Ansprechpartner 24/7? All das gibt es auf dem Holzmarkt. Das sind Fragen, die unsere Mitarbeiter gestern auch im Bezirksparlament gestellt haben. Als Antwort des Amtes wurde EINE Anwohnerbeschwerden aus dem letzten Jahr zitiert. In diesem Jahr gab es übrigens noch keine einzige. Deshalb hat auch eine große Mehrheit der Bezirksverordneten gestern mit einem Dringlichkeitsantrag noch dafür gestimmt, die Regelungen zur Beschränkung des Ausschanks und Aufenthalts am Ufer bis Ende Oktober auszusetzen… weitere Infos auf FB

Ein Beitrag geteilt von Holzmarkt25 (@holzmarkt_25) am Jun 6, 2019 um 5:08 PDT

Das Kreativdorf auf dem Holzmarkt-Grundstück hat schon vor Jahren umgesetzt, wovon heute so viele reden. Es versucht ein Ort zu sein, an dem Künstler, Aktivisten und Normalos aufeinandertreffen, ein Ort, an dem Kultur gefördert wird mit Events, Proberäumen, Ateliers, Kunstladen, Co-Working-Spaces und Studio, ein Ort für das Handwerk mit Bäckerei, offener Holzwerkstatt und Brauerei, ein Ort für Kinder – vom Kinderspielplatz bis zur KiTa – ein Ort für das große Miteinander auf Partys, im Gartenprojekt oder im Geflüchteten-Café und ein Ort, an dem Berlin noch Berlin sein kann: bezahlbar, frei und vielseitig.

Gerüchte und Fakten

Nun wird getuschelt, worum es hier wirklich geht: um vergraulte Investoren, um lukrative Neu-Nutzungen, um Bauprojekte, um Gentrifizierung, um all das, was in unseren Augen Berlin kaputt macht. Unschuldig ist der Holzmarkt 25 natürlich auch nicht an der Misere, so sieht es jedenfalls der Baustadtrat, der angrenzend einen hohen Büroturm errichten wollte. Die Kreativen taten sich mit den Grundstückseigentümern, der Schweizer Stiftung Abendrot, zusammen, um statt des geldbringenden Projekts das Eckwerk zu konzipieren: an den Holzmarkt angepasste Bauten für Künstler, Studenten und Start-Ups, zum Großteil aus Holz für Wohnungen und Gemeinschaftsräumen. Der zuständige grüne Baustadtrat hielt diese alternative Planung nicht für genehmigungsfähig – obwohl die renommierten GRAFT-Architekten und das Bezirksamt daran gearbeitet hatten – und bestand darauf, zu dem ursprünglichen an dieser Stelle geplanten Büroturm zurück zu kehren. Ein 90-Tage-Rat scheiterte, seither streitet man vor Gericht.

 

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Ein Beitrag geteilt von Holzmarkt25 (@holzmarkt_25) am Mai 21, 2019 um 6:06 PDT

Die klare und kampfbereite Haltung scheint der Holzmarkt allerdings auf die Spitze getrieben zu haben: Die Schweizer Stiftung hat dem Holzmarkt das Erbaurecht entzogen. Ein Tiefschlag, zumal das gescheiterte Eckwerk-Projekt dem Holzmarkt finanziell sehr geschadet hat. 19 Millionen fordert die Holzmarkt-Genossenschaft vom Land Berlin. Und die Stiftung, die versucht hatte, sich mit dem Bezirk auf Studentenwohnungen zu einigen, überlegt das Grundstück noch in diesem Jahr abzustoßen. Es scheint verflucht und dadurch Spekulanten bald wieder offen zu stehen. Wenn dann auch noch der Holzmarkt 25 weichen muss, wäre ein Paradies für Immobilienhaie und Investoren in Bestlage erschaffen. Bis zum 31. Oktober 2019 haben die Macher nun Zeit, herauszufinden, welche Auflagen das Kreativdorf einhalten muss und ob es nicht doch die rechtliche Grundlage bekommt, für uns alle offen zu bleiben.

Berliner Clubcommission

Immerhin gibt es Unterstützer in der Politik – aus Linke, SPD, CDU, Die Partei und FDP: Das Bezirksamt muss im August erklären, wie es zu den besonderen Auflagen für den Holzmarkt gekommen sei. Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann fordert ihre Kollegen auf, sich mit allen Beteiligten an einen Runden Tisch zu setzen. Auch die Berliner Clubcommission fragt öffentlich: Was tut Ihr (Grünen) da? „Der Holzmarkt war eine Utopie, die Wirklichkeit wurde“, heißt es in dem offenen Brief der 240 Kulturschaffenden. Und weiter: „Wir können nicht zulassen, dass unsere Stadt ein so mutiges und freigeistiges Projekt verliert.“ Damit ist die Frage des Holzmarkt 25-Teams, ob es überhaupt noch gewollt sei, eigentlich schon beantwortet. Und auch wir sagen: ja! Unbedingt.

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