Alles begann mit einem Buch und einem entlaufenen Hund: Inspiriert durch Henning Scherfs Essay „Grau ist bunt – Was im Alter möglich ist“ machte sich das Oldenburger Ehepaar Bettex von Schenck vor einigen Jahren auf die Suche nach einem alternativen Wohn- und Lebenskonzept. „Wir wollten unsere dritte Lebensphase aktiv gestalten und ein gemeinschaftliches Wohnprojekt realisieren“, so die heute 67-Jährige Huberta Bettex.
Ein Zufall führte das Ehepaar schließlich zu einem geschichtsträchtigen Gebäudekomplex: „Auf der Suche nach unserem entlaufenen Hund fuhren wir die Lichtenberger Hauptstraße hinunter und wurden dabei auf das ehemalige „Gefängnis Rummelsburg“ aufmerksam“, erinnert sich Bettex. Nachdem ihr Hund im Berliner Tierheim aufgespürt werden konnte, besichtigten Huberta und Matthias Bettex das verwahrloste, von Mauern abgeschottete Gelände.
„Straf- und Arresthaus für männliche Corrigenden“
Vor allem das denkmalgeschützte, von einem Schüler Karl Friedrich Schinkels errichtete „Haus VIII“ ließ das Ehepaar daraufhin nicht mehr los. Errichtet wurde das Gebäude 1897 als „Straf- und Arresthaus“ innerhalb eines weitläufigen „Arbeitshaus“-Komplexes. Nachdem die Anlage auch unter den Nationalsozialisten als Arbeits- und Haftlager genutzt wurde, baute die DDR-Regierung die Anstalt zum „Gefängnis Rummelsburg“ aus. Das „Haus VIII“ wurde dabei zur Krankenstation – mit kleinen, vergitterten Fenstern, acht Quadratmeter großen Zellen und einer stets verschlossenen Eingangstür.
Nach dem Mauerfall diente das hermetisch abgeschlossene Gebäude schließlich kurzeitig als „Unterkunft“ für Erich Honecker und Erich Mielke – bevor es dem Verfall preisgegeben wurde. „Als wir auf das Haus VIII aufmerksam wurden, hatte das verwahrloste Gebäude bereits 15 Jahre leer gestanden und noch immer strahlte alles an diesem Ort die menschenverachtenden Zustände in den Haftanlagen der DDR aus“, so Bettex. „Doch es schien, als würde das denkmalgeschützte Haus um eine zweite Chance bitten.“
Vergangenheit trifft Gegenwart
Mit viel Engagement verwandelten die ehemalige Lehrerin und ihr Ehemann die historische Anlage in ein modernes Gäste- und Wohnhaus – das seine Vergangenheit nicht leugnet. In den fünf einfach aber ansprechend gestalteten Räumen – jeweils mit eigenem Bad, Rundgewölbe und teilweise mit Blick aufs Wasser – können geschichtsinteressierte Besucher heute die idyllische Lage an der Rummelsburger Bucht genießen und gleichzeitig die geschichtsträchtige Atmosphäre des Gebäudes auf sich wirken lassen. Eine kleine Bibliothek informiert dabei über die Schattenseiten der DDR-Diktatur, ostdeutsche Biografien oder das kommunistische Menschenbild.
Darüber hinaus lädt der „Raum der Stille“ im Untergeschoss zur inneren Einkehr ein: „Hier können sich die Gäste auf die eigenen Werte besinnen.“ Auch mit dem „Stuhl für den unbekannten Gefangenen“ will das kleine Hotel getreu dem Motto „Geschichte erleben – Gegenwart gestalten“ zur Reflexion über die (ost-)deutsche Vergangenheit anregen. Vor allem ehemalige Häftlinge zeigten sich von diesen Bemühungen gegen das Vergessen angetan, so Bettex.
Vorurteile gegen „westdeutsche Einmischung“
Doch nicht von allen Seiten schlug dem Ehepaar seit der Eröffnung des kleinen Hotels Zustimmung entgegen. „Vor allem die im ehemaligen Ostdeutschland geborenen Anwohner fühlten sich von der Wiederbelebung des ehemaligen Haus VIII überrannt und lehnen das Hotel bis heute ab“, so Bettex. Doch der Zuspruch der interessierten Gäste überwiege bei Weitem und in den vergangenen Jahren habe sich „Das Andere Haus VIII“ zu einem Kiez-Hotel innerhalb des heute als „BerlinCampus“ bekannten Wohnquartiers entwickelt.
„Zahlreiche junge Familien entdecken die Rummelsburger Bucht und ihre ruhige und grüne aber doch zentrale Lage als attraktive Wohngegend“, freut sich Bettex. Im Rahmen dieser Entwicklung sei das Hotel zu einem Treffpunkt für die Nachbarschaft geworden und mit vielen Festen, gemeinsamer Gartenarbeit und dem Engagement für den Verein „WIR in Rummelsburg“ nehme die Nachbarschaft die Gestaltung des Wohnumfeldes rund um die ehemalige Haftanstalt in die eigenen Hände. Nicht zuletzt durch die Bemühungen eines westdeutschen Ehepaares wird ein Ort mit einer schweren Geschichte damit zu einem Ort der Begegnung zwischen West und Ost, Jung und Alt.