Was ist denn schon besonders an einer Rasenfläche, denkt man. Weit gefehlt! Es handelt sich um eine eigene Wissenschaft, eine Philosophie für sich, mit eigenem Wortschatz. „Durchgewurzelt“ – so heißt es, wenn der neue Teppich in einem Stadion Halt gefunden hat. Drei Wochen dauert das. Aber: „Der Rasen muss gar nicht anwachsen“, sagt Arnd Peiffer, „das ist eines der Vorurteile, mit denen wir zu kämpfen haben.“ Schon am Tag nach der Verlegung kann ein 80-Kilogramm-Spieler darauf grätschen und schlittern, nichts passiert. Der Rasen hat ein Eigengewicht, der ihn an Ort und Stelle hält.
Peiffer leitet in dritter Generation einen Rasen-Zuchtbetrieb in der Nähe von Mönchengladbach. Seine Firma ist europaweit groß im Geschäft, beliefert jährlich etwa 30 Stadien, auch in der Türkei. Hierzulande spielen mehr als die Hälfte der Bundesligavereine auf Peiffers Untergrund. Von Sonntag bis Dienstagmittag haben der Unternehmer und zehn seiner Mitarbeiter – die Zahl elf kommt dabei rein zufällig zustande – den Rasen im Olympiastadion ausgewechselt, in erster Linie für das Pokalfinale zwischen Dortmund und Bayern am 12. Mai. Doch ein wenig auch für Hertha, die grüne Hoffnung stirbt zuletzt.
Großtransport vom Niederrhein
8000 Quadratmeter groß ist die Fläche im Olympiastadion. Ein logistischer Großeinsatz, der doch erstaunlich schnell über die Bühne geht. Eineinhalb Jahre ist der Rasen vom Niederrhein alt. Er wird in 15 Meter lange und 1,20 Meter breite Rollen geschnitten, sie sehen aus wie Schneckenhäuser, jede wiegt 1,2 Tonnen. 445 solcher Rollen waren für das Olympiastadion nötig, 19 LKW transportierten sie drei Tage lang vom Niederrhein her. Peiffer erklärt: „Wir können den Rasen nicht auf einmal hierhertransportieren. Das ist wie mit Salat, der muss frisch geschnitten und dann so schnell wie möglich verladen und ausgebracht werden.“
Der Vorgang ähnelt dem Ausrollen eines Teppichs oder der Pflasterung einer Straße: Die Rasenbahnen stützen sich gegenseitig, obendrein werden sie angewalzt – und später von einer Walze gepflegt, die Stollenschuhe simuliert, Fußballtraining fürs Grün sozusagen. Das Olympiastadion, 2000 bis 2004 für 242 Millionen Euro saniert, ist in dieser Hinsicht eines der modernsten in Europa. Eine Bodenheizung hält die Graswurzeln konstant auf 21 Grad, eine Zisterne sammelt Regenwasser, das Flutlicht steckt im Dach, so dass die Scheinwerfer keine Schatten werfen.
Modern und doch historisch
Dennoch – und das stellt gerade das Reizvolle dar – ist das Olympiastadion auch ein historisches Bauwerk, das seine nationalsozialistische Vergangenheit nicht vergisst. In Deutschland ist es in verschiedener Hinsicht einzigartig. Es ist das letzte große Stadion, das noch keinen Sponsorennamen trägt und noch eine Laufbahn besitzt. Der Rasen mag das: Die Luft zirkuliert, es windet ständig, viel Sonnenlicht fällt ins weite Rund. Deshalb ist im Schnitt auch nur einmal pro Jahr ein neuer Rasen fällig. Die Münchner Allianz-Arena ist dagegen absichtlich hoch, steil, eng, ohne Laufbahn. Dort ist eine künstliche Beleuchtung des Grüns zwingend notwendig. Diese Arena gehört zur neuen Generation von Stadien, die nach dem Vorbild der Amsterdam-Arena in den 90er Jahren als reine Fußballstadien errichtet wurden. In Amsterdam musste der Rasen zu Beginn achtmal im Jahr ausgetauscht werden. Deshalb debattieren die Vereine und Funktionäre auch seit Jahren über Kunstrasen. In Deutschland ist der noch nicht erlaubt, in klimatisch weniger günstigen Ländern wie Russland dagegen schon.
Auch in Berlin wird der Rasen immer mehr beansprucht. Die Abstände zwischen den Veranstaltungen werden kürzer. „Wir sind heute eine 365-Tage-Immobilie“, sagt Christoph Meyer von der Olympiastadion GmbH. Der Sommer 2011 war ausgebucht: Papst, Yoga Festival, Mario Barth, Grönemeyer. Dazu natürlich die Fußballspiele – und circa 300.000 Besucher im Jahr, die sich für die Historie interessieren. Die weiß auch Arnd Peiffer zu schätzen. Er mag die Arbeit im Olympiastadion. „Es ist spannend, einmalig“. So weit gereist wie er ist, muss er es wohl wissen.