„Be open, be free, be Berlin“ steht auf dem roten Gummi-Armband, das Ahmed am rechten Arm baumelt. Das Bändchen der hauptstädtischen Image-Kampagne trägt er nicht einfach so: „I like Berlin, it is not like München.“ Und das, obwohl Berlin die Stadt ist, in der ihm fortwährend Stolpersteine in den Weg gelegt werden. Ob es in einer anderen Stadt größere wären? Als er zu erzählen beginnt, wird schnell klar: Die Stolpersteinen formieren sich zu einem großen Berg.
Ahmeds Geschichte handelt von einer unfreiwilligen Flucht. Bevor der libysche Bürgerkrieg ausbrach und die NATO mit Bomben intervenierte, hatte der gebürtige Nigerianer, der in der krisengebeutelten Heimat seine Familie verlor und für einen Neuanfang nach Libyen kam, als Elektriker gearbeitet. Er verdiente 1600 Dollar im Monat, lebte in einer 2-Raumwohnung und fuhr einen Nissan Lanza. Heute hat er nicht mal ein Fahrrad. Durch seine Flucht, die am 28. April 2011 begann und ihn über Lampedusa erst nach Italien und schließlich nach Berlin führte, hat er alles verloren.
Das Unvorstellbare bekommt ein Gesicht
Die Schrecken, die der 28-jährige erlebt hat, entziehen sich für die meisten Menschen dem Begreifen. Auch deshalb, weil Ahmeds Vita die universalen Züge einer Flüchtlingsbiographie trägt – Krieg, Tod, Not und Flucht sind inflationär gebrauchte Schlagworte, die uns tagtäglich in der Tagesschau begegnen. Um sie konkret werden zu lassen, um ihnen ein Gesicht zu geben, erzählt Ahmed von seinen Erlebnissen. Immer wieder. Im Info-Zelt des Flüchtlingscamps sprach er mit Interessenten und Unterstützern, für Journalisten gibt er Zeitungs- und Fernseh-Interviews. Er kann das, andere können es nicht.
Probleme mit der Polizei
Er kramt eine Art ID-Karte hervor, die ihn als Mitglied der Protestgruppe vom Oranienplatz ausweist. In Deutschland hat alles seine Ordnung. Vergünstigungen, etwa ermäßigte Bahn-Tickets, wie sie Studenten oder Sozialleistungs-Empfängern zustehen, bekommt er hiermit allerdings nicht. Und auch in anderen Punkten sei es mit der vermeintlichen Ordnung nicht so weit her. Ahmed spricht von Ignoranz und Diskriminierung gegenüber den Flüchtlingen: „We know that the police is against us. And the politicians are against us. Also the judges sometimes are against the refugees when there is a problem between the refugees and the police.“
Als er später von den Verhandlungen mit dem Berliner Senat und Integrations-Senatorin Dilek Kolat spricht – er war als Vertreter der Flüchtlinge dabei – relativiert er: Kein einzelner Politiker und auch nicht Frau Kolat machten ihm ein selbstbestimmtes Leben unmöglich. Es sind die bürokratischen Mühlen der Landes-, Bundes- und Europapolitik, die Ahmed und andere Flüchtlinge handlungsunfähig machen: „Our demand is not the ‚Duldung’“ – er nutzt bewusst das deutsche Wort. „Our demand is residence.“ Er spricht hitzig und vehement. Eine Aufenthaltserlaubnis würde es ihm erlauben, einer Arbeit nachzugehen. Das darf er momentan nicht, seine Tage sind lange Tage.
Europäische Freizügigkeit für anerkannte Flüchtlinge
Auch Menschenrechtsorganisationen üben seit Jahren heftige Kritik am unsolidarischen und bürokratischen Asylrecht. Auf europäischer Ebene votiert Pro Asyl beispielsweise für die volle europäische Freizügigkeit für anerkannte Flüchtlinge. Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer der Organisation, nennt Sprach- oder Landeskenntnisse als gewichtige Gründe, um den Flüchtlingen die Wahl zu lassen, wo sie leben und arbeiten möchten. Überdurchschnittlich frequentierte Länder könnten durch einen gemeinsamen EU-Ausgleichsfonds unterstützt werden.
„Ahmed habe ich auf dem Oranienplatz kennengelernt. Als Mensch geht mir seine Geschichte nahe, als Journalistin freue ich mich über sein Vertrauen!“