„Der Mann ist…“ ist auf einem Zettel zu lesen. Welches Adjektiv passt dazu? Laut, grün, krank? Aber Dorina (Name geändert) denkt noch über etwas anderes nach: „Der M-a-n-n“, buchstabiert sie vor sich hin. Dorina ist elf Jahre alt, Roma, und geht in die vierte Klasse der Hans-Fallada-Schule in Neukölln – obwohl sie kaum Deutsch kann.
Immer mehr Roma in Neukölln
In der Umgebung der Schule lassen sich seit 2009, zwei Jahre nach dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien, immer mehr Roma-Familien nieder. Die meisten kommen aus dem Dorf Fântânele in der Nähe von Bukarest. Obwohl der Senat das Gegenteil prognostizierte, ist ein Großteil der Zuzügler im Bezirk gekommen, um zu bleiben. Das Problem: Viele haben keine Deutschkenntnisse und oft auch in Rumänien nie eine Schule besucht. „Wenn ich fünf Schüler in der vierten Klasse habe, die nicht lesen, schreiben und rechnen können, dann sprengt das den Unterricht“, erklärt Schulleiter Carsten Paeprer. Seine Schule hat schon mehr als 90 Prozent Migrantenanteil.
Ganz Neukölln steht vor einer Herausforderung, wie aus dem zweiten Roma-Statusbericht hervorgeht. „Wir wollten wissen, wer und wie viele angekommen sind, der Andrang auf die Schulen wurde immer größer“, sagt Franziska Giffey, Bildungsstadträtin und Koordinatorin des Berichts. Allein seit Januar sind 74 Schüler aus Rumänien und Bulgarien an Neuköllner Grund- und Oberschulen angemeldet worden. Bis zu 700, glaubt der Bezirk, könnten hier am Ende des Jahres eine Schule besuchen. Sekundarschulen betrifft das besonders: Bereits jetzt können 50 angemeldete Jugendliche nicht aufgenommen werden. Drei Kleinklassen, die ab Ostern eröffnen, sollen das Problem eingrenzen.
Sprachmittler sind ein Muss
Doch wie viele kommen noch? „Wir brauchen zwingend mehr Personal, das erst einmal die Sprache vermittelt“, sagt Giffey. Für alle 30 Schulen in Neukölln hat die Senatsverwaltung bis zu elf befristete Sprachmittlerstellen genehmigt. Sie leiten Lerngruppen, in denen Schüler wie Dorina zwei- bis dreimal in der Woche die wichtigsten Grundlagen lernen sollen.
Zwei Vermittler sind vor einem Jahr an die Hans-Fallada-Schule gekommen, da waren es noch 40 Roma-Kinder, heute sind es 90. Sie machen mittlerweile mehr als 20 Prozent der Schüler aus. Seit diesem Schuljahr gibt es eine eigene erste Klasse für 17 Roma-Kinder, die von einem deutschen Lehrer und einer Sprachmittlerin geleitet wird. Im kommenden Schuljahr erwartet das Kollegium 20 weitere Anmeldungen. „Wir sind an der Belastungsgrenze“, sagt Paeprer.
Kultureller Austausch
Sarolta Szabo ist seit einem Jahr als Sprachmittlerin an der Schule, sie ist selbst Rumänin. In ihrem Unterricht wird aber nur im Notfall Rumänisch gesprochen. Szabo betreut sieben Lerngruppen und die erste Klasse für Roma-Kinder. Im Alltag übersetzt sie aber vor allem Kulturen. Wenn Kinder wieder nicht in die Schule kommen, macht Szabo „Hausbesuche“, manchmal auch mit dem Jugendamt. „Sie ist unsere Brücke zu den Eltern“, sagt Paeprer.
Andererseits führt Szabo das Lehrerkollegium auch in die Kultur der Roma ein. „Wir wussten anfangs nicht, warum die Eltern nie auf Briefe reagierten“, sagt Paeprer. Kulturvermittlerin Szabo erklärte: „Nur was mündlich vereinbart ist, gilt bei den Roma.“ Es kostet Zeit und Kraft, auf allen Seiten für Verständnis zu sorgen. Und dann ist da noch die Ungewissheit, ob sie im nächsten Sommer überhaupt wieder an der Schule arbeiten darf.
Schulleiter Paeprer spricht ein weiteres Grundproblem an: „Die Roma-Kinder stehen in der Rangordnung an letzter Stelle.“ Die Lehrer versuchen, Vorurteile abzubauen, indem sie Roma, Türken und Araber zusammenbringen. Doch „Zigeuner“ ist ein weit verbreitetes Schimpfwort. Vor kurzem gab es einen Kochkurs, nun einen Schulzirkus. Aber die Pöbeleien zeigen, dass noch viele solcher Aktionen notwendig sind. „Sie wurden in Rumänien diskriminiert, sie werden in Neukölln diskriminiert“, sagt Szabo. In ihren Lerngruppen will sie Selbstvertrauen vermitteln. „Ihr schafft das!“