Die Reihen lichten sich. Von den Großkünstlern der Black Music haben etliche das Zeitliche gesegnet oder befinden sich im Ruhestand. Prince ist einer der letzten aktiven Weltstars, auch wenn seine Karriere unter den jahrelangen Rechtsstreitigkeiten mit seiner Plattenfirma und seiner musikalischen Orientierungslosigkeit gelitten hat. In den Charts spielt Prince schon lange keine Rolle mehr.
Dafür ist sein Ruf als Livemusiker ungebrochen. Bei seinem einzigen Deutschlandkonzert ist die Waldbühne nicht ausverkauft, aber gut gefüllt mit 17.000 Besuchern, deren Einmarsch das steile Halbrund in Staubwolken hüllt. Die Menge ist noch dabei, sich zu sortieren, als aufbrandender Jubel die Ankunft der Musiker signalisiert.
Prince hat schon immer Wert auf gemischtgeschlechtliche Begleitbands gelegt. So auch hier: Drei Sängerinnen, eine Keyboarderin, ein Bassist, eine Schlagzeugerin und ein Mundharmonikaspieler nehmen ihre Plätze ein. Sheila E., Percussionistin und langjährige Wegbegleiterin, wirft zur Begrüßung erstmal ein paar Drumsticks in die Menge.
„Hello, Berlin!“
Die Ordner haben Mühe, die wie aus einem übertretenden Stausee herabströmenden Menschenmassen so zu kanalisieren, dass unten kein zu großes Gedränge entsteht. Das Manöver gelingt, hinterher ist das Publikum tatsächlich viel harmonischer über die gesamte Arena verteilt.
Seit kurzem ist Prince 52, aber er sieht mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen und der zur Little-Richard-artigen Tolle getürmten Frisur nicht nur 20 Jahre jünger aus, sondern strahlt eine fast schon unverschämte Frische aus. Beweisen muss er nichts mehr, auf sportliche Einlagen wie den eingesprungenen Spagat kann er inzwischen gut verzichten. Stattdessen persifliert er leichtfüßig den Robot Dance, während er in einem grandiosen Medley sein eigenes Frühwerk Controversy, das von ihm für Sheila E. geschriebene A Love Bizarre, den Funk-Klassiker I Know You Got Soul von Bobby Byrd und die Disco-Hymne Le Freak von Chic zum Möbiusband der schwarzen Musikgeschichte verzwirbelt.
Keine Berührungsängste
Prince war immer ein genialer Eklektiker, der alles von DooWop bis zu HipHop in seinen Songs verarbeitet hat. Und weder Berührungsängste kennt noch vor unvorteilhaften Vergleichen zurückscheut. Wenn er Jimi Hendrix mit dem komplexen Spanish Castle Magic seine Reverenz erweist, relativiert er mutwillig seine unbestrittene Gitarristenvirtuosität und lässt manche Fans etwas ratlos zurück – das Stück war nicht gerade Hendrix’ größter Hit. Vielleicht wäre All Along The Watchtower eine bessere Wahl gewesen. Zudem hätte der bekennende Zeuge Jehovas damit noch deutlicher seine Fähigkeit zur Selbstironie unter Beweis gestellt.
Die kommt allerdings auch so zum Tragen: Selbst die eindringlichen und vom Publikum immer enthusiastischer beantworteten Mitsing- und Mithüpf-Animationen scheinen ein Augenzwinkern zu transportieren, von allerlei Gitarren- und Stimmbandkapriolen sowie den dauernden Neckereien mit Sheila E. mal abgesehen. Und wenn er sich das von Sinéad O’Connor zur pathetischen Schmerzensfrau-Ballade aufgeplusterte Nothing Compares 2 U elegant zurückerobert, lässt er es von der ebenso stimmgewaltigen wie glatzköpfigen Shelby J. aus seinem Background-Trio intonieren – ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
Gruß an Michael
Schließlich tröpfeln Lichtpunkte die Videoleinwand hinab: Purple Rain, immer noch die beste Verbindung von Bombast und Schönheit, seit es Powerballaden gibt, erstrahlt in einer viertelstündigen Monumentalfassung, samt minutenlang gesummtem Choral, orgiastischen Gitarrenkaskaden und dem organisch eingeflochtenen Protestsong When Will We Be Paid der Staple Singers – glaube niemand, Prince sei unpolitisch, nur weil er abfeiert wie niemand sonst. Sheila E. verdrückt aufgewühlt ein paar Tränen, nicht wenigen im Publikum geht es ähnlich. Prince indes strahlt, ruft voller Stolz „This is now the House of Prince!“ in die tobende Waldbühne und scheucht alle mit dem von der 1988 verstorbenen Disco-Ikone Sylvester entliehenen Dance (Disco Heat) nochmal ins Partyparadies.
Auf dem Heimweg entlädt sich der Himmel nach Wochen und Wochen der Wüstenhitze in einem kühlenden Schauer – Purpurregen für die Seele.