Begegnungszone Maaßenstraße

Die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau

Die Maaßenstraße in Schöneberg - als ein von Schülern gebasteltes Modell. Links ist deutlich der bis in die Nacht geöffnete Supermarkt zu erkennen. Abgesehen davon haben die Kinder in ihrem Entwurf der Begegnungszone viele Grünflächen und Fußgängerüberwege hinzugedacht.
Die Maaßenstraße in Schöneberg - als ein von Schülern gebasteltes Modell. Links ist deutlich der bis in die Nacht geöffnete Supermarkt zu erkennen. Abgesehen davon haben die Kinder in ihrem Entwurf der Begegnungszone viele Grünflächen und Fußgängerüberwege hinzugedacht.
Winterfeldtkiez - Noch in diesem Jahr soll der Umbau der Maaßenstraße zur sogenannten "Begegnungszone" beginnen. Ein Pilotprojekt, für das in den vergangenen Monaten auch viele Anregungen aus der Bevölkerung zusammengetragen wurden. Am 29. Januar luden die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und das Bezirksamt von Tempelhof-Schöneberg zur Vorstellung der ersten Planungskonzepte.

Wer erleben wollte, wie kompliziert Bezirkspolitik und Stadtentwicklung sein können, der war auf der Informationsveranstaltung zum Projekt „Begegnungszone Maaßenstraße“ genau richtig. In einer stundenlangen emotionsgeladenen Diskussion prallten die Interessen von Anwohnern, Gewerbetreibenden, Radfahrern, Kindern, Sehbehinderten und Autofahrern sowie die Vorstellungen des zuständigen Planungsbüros aufeinander – bis man schließlich mit der Frage „Wer wollte überhaupt eine Begegnungszone?“ wieder ganz am Anfang stand.

Dabei hätte es eigentlich ein friedlicher Abend werden können. Der große Andrang im Jugend- und Kulturhaus PallasT bewies, dass die zuständigen Behörden mit dem Ansatz der Bürgerbeteiligung genau richtig lagen und eine farbenfrohe Ausstellung mit Ideen von Kindern und Jugendlichen machte Lust auf die Zukunft der Maaßenstraße. Darüber hinaus wurden in den hinführenden Worten von Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, Professor Karl Heinz Schäfer von plan.publik und Sebastian Basedow von zebralog unter anderem der von der Begegnungszone ausgehende Impuls für den ganzen Kiez, das rege Interesse und die Ideenvielfalt der jüngsten Quartiersbewohner sowie die rege Beteiligung an den analogen und digitalen Bürgerbeteiligungsverfahren gelobt. Allein auf der eigens freigeschalteten Website zum Projekt wurden innerhalb von vier Wochen 127 Planungskommentare und 41 neue Vorschläge für die Begegnungszone abgegeben – überwiegend von Nutzern aus den Bezirken Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf.

Anwohner finden Gehör

Zu den dringendsten Anliegen der Anwohner und Nutzer der Maaßenstraße gehören – zusammengefasst – die Steigerung der Verkehrssicherheit und eine Geschwindigkeitsdrosselung des motorisierten Verkehrs, die Verlagerung des Radverkehrs vom Gehweg auf die Straße, mehr Aufenthaltsfächen ohne Verzehrzwang, mehr Grünflächen und eine generelle Steigerung der „sozialen Brauchbarkeit“ der Maaßenstraße. Jede Menge Wünsche, die vom Planungsbüro LK Argus in einem ersten Planungsentwurf versuchsweise zusammengefasst wurden.

Geschäftsführer Dr. Eckhart Heinrichs, der den Entwurf an diesem Abend der Öffentlichkeit präsentieren sollte, bremste gleich zu Beginn allzu hohe Erwartungen: Weder könne man sich über „Budgetgrenzen und Vorschriften“ hinwegsetzen noch handle es sich zu diesem Zeitpunkt um ein „fertiges Konzept“ der Begegnungszone Maaßenstraße. Ein Umstand, der sich im Folgenden als Glücksfall herausstellen sollte.

Die wichtigsten Ügerlegungen des Planungsbüros LK Argus im Überblick: Durch eine deutliche Verringerung der Fahrbahnbreits sollen neue Aufenthaltsflächen für die Passanten entstehen. Der Radverkehr wird auf die Straße verlagert – allerdings ohne zusätzlichen Radstreifen. Künftig gilt in der Maaßenstraße Tempo 20. Rad- und Autofahrer sollen abgesehen davon nicht durch mehr Schilder und Verbote sondern durch „Irritationen im Fahrbahnverlauf“ zur gegenseitigen Rücksichtnahme und einem gedrosselten Tempo bewegt werden. Zum Zwecke der Aufmerksamkeitssteigerung sollen alle 30 bis 50 Meter „Brüche in der Charakteristik der Straße“ erfolgen. Diese werden unter anderem durch Straßenmarkierungen wie farbiges Pflaster und Aufpflasterungen an Einmündungen, Kreuzungen und definierten Querungen oder eine Verschwenkung der Fahrspur von rechts nach links erreicht. Ein Kreisverkehr ist aufgrund des relativ hohen Flächenverbrauchs bzw. der Wirkungslosigkeit einer überfahrbaren Mittelinsel bei einem Mini-Kreisverkehr dagegen nicht vorgesehen. Darüber hinaus sollen die 50 Parkplätze entlang der Maaßenstraße wegfallen, um eine bessere Einsehbarkeit und mehr Fläche für die Passanten zu gewährleisten.

Diskussion um Parkplätze, Müll und Bordsteinkasten

Vor allem an letztgenanntem Punkt entzündete sich in der anschließenden Fragerunde eine aufgebrachte Diskussion. Eine über 70-jährige Anwohnerin kritisierte die Pläne zur Begegnungszone heftig und zog in Erwägung, aus dem Kiez fortzuziehen, jetzt, wo sie mit ihrem Auto und den eventuell getätigten Einkäufen nicht mehr vor der Haustür parken könne. Als Autofahrer müsse man von den Plänen enttäuscht sein, so die Seniorin. Viele Anwohner schlossen sich der Kritik am Wegfall der Parkplätze an: Die Parksituation im Kiez sei ohnehin angespannt – darüber hinaus würden die gewonnenen Flächen nur dazu dienen, der überbordenden Gastronomie („Ballermann Schönebergs“) auf den Gehsteigen auszuweichen. Auch der Müll auf den neugewonnenen Flächen, die Aufpflasterung, fehlende taktile Leiteinrichtungen für Sehbehinderte, der – aus Kostengründen notwendige – Verbleib der alten Bordsteine, sowie die zu milden Maßnahmen in Bezug auf die nächtlichen Raser trieben den Anwohnern die Sorgenfalten ins Gesicht.

So fand jedes Argument ein Gegenargument: Der Wegfall der Parkplätze schafft mehr Platz, benachteiligt aber die Autofahrer im Kiez. Aufpflasterungen und ähnliche Hindernisse entschleunigen den Autoverkehr, behindern und gefährden aber die Radfahrer. Die neu gewonnenen Flächen könnten als öffentliche Erholungsflächen dienen – oder aber als Feier- und Aufenthaltsort für die Gäste der umliegenden Gastronomiebetriebe, als Rückzugsorte für Obdachlose oder als neue Müllablageplätze. Halten die Planer der Begegnungszone das kurzzeitige Parken in „zweiter Reihe“ durchaus für möglich, weist das zuständige Amt sofort auf die Ordnungswidrigkeit hin und Anwohner befürchten permanentes Hupen.

So zog sich die Diskussion bis in die späten Abendstunden hin. Den Planern von LK Argus blieb an vielen Stellen nichts weiter übrig als darauf zu verweisen, dass „niemals alle Raser“ von ihrem unverantwortlichen Fahrstil abgehalten werden könnten, dass viele „Grundsatzfragen von Verkehrsplanern nicht gelöst werden können“ und dass soziale Kontrolle und gegenseitige Rücksichtnahme von allen Verkehrsteilnehmern ausgehen müssten. Die eierlegende Wollmilchsau wird also wohl nicht so schnell gefunden werden – wie ein anwesender Grünen-Politiker passenderweise anmerkte – und viele Anwohner müssen in Bezug auf die neue Begegnungszone sicher einige Kröten schlucken.

Doch dass überhaupt ein tragfähiger Dialog über die Zukunft des Kiezes angestoßen wurde und die Bürger tatsächlich in die Planungen einbezogen werden, kann – bei allen Differenzen – als große Leistung der zuständigen Stellen gewertet werden.

„Kommunalpolitik hautnah! Schön, dass sich so viele Menschen für die Zukunft ihres Kiezes engagieren. Den angemessenen Umgangston sollten alle Beteiligten aber nie ganz aus den Augen verlieren – zum Teil hätte man mit dem Leiter des zuständigen Planungsbüros fast ein bisschen Mitleid bekommen können …“

Die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau, Maaßenstraße, 10777 Berlin

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