„Isolation Berlin ist vielleicht das kürzeste Gedicht, das ich je geschrieben habe“, antwortet Tobias Bamborschke, Sänger der Musikgruppe Isolation Berlin, auf die Frage, wie der Bandname entstanden ist. Fast zwei Jahre lang hatten er und seine Bandkollegen Max Bauer (Gitarre), David Specht (Bass) und Simeon Cöster (Schlagzeug) über den Namen nachgedacht. „Damals wussten wir noch nicht, ob wir auf Deutsch oder Englisch singen. Deshalb ist es auch cool, einen Namen zu haben, der auf beiden Sprachen funktioniert“, erzählt Tobias.
Der gebürtige Kölner zog mit 13 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern nach Berlin. Erst Reinickendorf, dann ging’s nach Prenzlauer Berg. „Früher war der Prenzlberg ja noch cool. Da hat sich die Indie-Rock-Szene im Mauerpark getroffen, oben auf dem Steinkreis abgehangen und Bier getrunken“, erinnert sich der 30-Jährige. Zu der Zeit war Tobias gerade 20 und wohnte in einer WG in der Nähe des Parks: „Ständig hat es an der Tür geklingelt, Leute kamen hoch mit einer Tüte voll Bier. Wir sind dann weiter in den Mauerpark gezogen, wo wir andere Musiker getroffen haben, aus denen später Bands wie zum Beispiel Snöffeltöffs entstanden sind.“ Irgendwann sei das alles dann vorbei gewesen. Das Viertel hat sich verändert, Cafés und alternative Treffpunkte haben zugemacht und die Leute gingen mehr nach Kreuzberg. „Plötzlich war ich der letzte Prenzlberger“, sagt Tobias und wird ein wenig nostalgisch.
2011 lernte Tobias dann Gitarrist Max kennen. Zu der Zeit studierte er noch Schauspiel am Europäischen Theaterinstitut. Eine gemeinsame Freundin verkuppelt die beiden gewissermaßen miteinander. „Uns war ziemlich schnell klar, dass wir denselben musikalischen Background haben, was gar nicht so häufig ist.“ Die beiden zogen in eine gemeinsame Wohnung, ebenfalls im Prenzlberg und nahmen 2013, damals noch ohne Band, die erste EP Aquarium auf.
„Keiner wollte mit mir reden“
Seitdem gehört die Tristesse der anonymen Hauptstadt zu Isolation Berlin. Das raue Großstadtleben speist ihren Sound aus Indierock, Post-Punk und Chanson. So lautet eine der besten Zeilen ihrer
2015 veröffentlichten Körper-EP: „Ich glaub, ich nehm‘ die nächste U-Bahn und fahr zum Bahnhof Zoo. Dann nehm‘ ich mir ’nen Strick und häng‘ mich auf im Damenklo.“ Doch so sehr das Leben in Berlin auch an einem nagt und einen in Schwermut fallen lässt, die Songs der Band sollen keine Kritik an der Stadt sein. Vielmehr sind sie die Beschreibung des Istzustandes: „Berlin ist der Ort, an dem die Gefühle, die i
ch damals hatte, entstanden sind. Ich konnte die ganze Euphorie um die Partystadt damals nicht teilen“, sagt Tobias. „Man kann sich wahrscheinlich auch in einem Dorf isoliert fühlen. Aber wenn man in Berlin einsam ist, dann ist man eben extrem einsam. Die Menschen wollen zwar ständig was von dir – die einen wollen mit dir ins Bett, die anderen wollen dir was andrehen – aber egal, wo ich damals hinkam, keiner wollte mit mir reden.“
Im Mittelpunkt der Songs von Isolation Berlin stehen Tobias kluge durchdachte Texte, in denen er sich traut, zu wüten, trauern und zu leiden. Zwar blitzt hier und da auch mal ein Funke Hoffnung auf, wie beispielsweise in dem Song Marie, in dem Tobias bittersüß vom Ende eine Beziehung singt: „Spür doch, es weht ein frischer Wind, in Richtung Hoffnung und dort steht ein Schiff für dich bereit.“ Doch fröhlich geht es bei Isolation Berlin selten zu. Das Thema Depression nimmt in den Textzeilen einen großen Teil ein. Darauf reduziert werden, will Tobias trotzdem nicht: „Depressionen waren lange ein Thema für mich. Aber die Texte gehen um viel mehr als nur um die Krankheit. Ich wunder mich darüber, wenn ich gefragt werde, wie ich auf die Texte komme. Ich bin doch nicht der erste Mensch, der Leid wahrnimmt!“ Über das Ende einer Liebe könnten wohl die meisten einen Song schreiben.
Stundenlange U-Bahn-Fahrten
Ob die Texte überhaupt von Tobias selbst handeln, bleibt d
abei eher unwichtig. Inspirieren lässt er sich von Poesie, Theaterstücken und Gesprächen auf der Straße oder in der U-Bahn: „Wenn ich unruhig bin, steige ich in die U2 und beobachte die Leute. Ich fahre stundenlang hin und her, ohne Ziel. Dann steige ich irgendwo aus, zum Beispiel am Zoo und laufe durch die Menschenmassen. Meist bis zur Schaubühne und wieder zurück bis zum KaDeWe – das hat für mich etwas total Beruhigendes.“ Genauso findet er auch beim Spaziergang entlang des Schlachtensees immer wieder zur Ruhe. Nach der Trennung von seiner damaligen Freundin hat er dem See sogar einen eigenen Song gewidmet: „Der Schlachtensee ist lang und auch ohne dich ganz
schön“, singt er und verbindet meisterhaft eine orden
tliche Portion Abgefucktheit mit sehnsuchtsvoller Gefühlsmusik. Der Ort ist natürlich nicht zufällig gewählt. Schon seine jüngsten Kindheitserinnerungen führen ihn zum Schlachtensee: Mit seinen Großeltern, die aus Zehlendorf kommen, lief er dort durch den Wald. So wurde der Schlachtensee für den Sänger zu einem Ort der Geborgenheit für schwermütige Tage.
Vor kurzem veröffentlichten Isolation Berlin ihr zweites Album Vergifte Dich. Und der Titel ist wörtlich gemeint: Ob mit bloßen Worten oder doch mit Rauschgift – das Vergiften zieht sich durch das gesamte Album. So singt Tobias im titelgebenden Track: „Hast du Angst, dich zu erschießen, Möchtest du kein Blut vergießen, Vergifte dich. Ich mach‘ auch mit, Rauschgift.“ Entstanden sei der Song zu einer Zeit, in der Tobias oft nächtelang in Clubs abhing. „Ich war überall: Bergh
ain, Kater, Wilde Renate… Ich hab mir das wirklich alles gegeben, aber nichts gespürt.“ Doch das gemeinsame Vergiften stiftet Zusammenhalt. Tobias fängt in seinen Texten all diese Stimmungen ein, ohne dabei jemals wertend zu werden.
Und während der Sänger in dem Lied Serotonin den Tag stundenlang im Park zerlatscht, „fahrig und verwirrt, bis es dunkel wird“, wacht er im letzten Track des Albums Mir träu
mte mitten in der Nacht in einer Kneipe auf: „Mit träumte, ich wäre tote Materie“. Vergifte Dich ist ein Album voll rastloser Suchenden, die der Rausch an den Abgrund bringt – so macht Isolation Berlin da weiter, wo sie angefangen haben. Sie bleiben nah an der Stadt, hören ihr und ihren Bewohnern zu und fragen nach, wo’s unbequem wird. Ist das alles nur im Rausch ertragbar?
Da wir bei diesem Kiezspaziergang leider nicht wirklich mit Tobias durch seinen Kiez spazieren gehen konnten, hat er stattdessen die tollen Illustrationen exklusiv für QIEZ angefertigt.