Ihr bauchlanger, blonder Pferdeschwanz schwingt in der Luft, als Kiddo Kat ins Café gestürmt kommt und uns erstmal herzlich drückt. Eigentlich sind ihre Aufenthalte in Berlin ja inzwischen so etwas wie Urlaub für sie. Schließlich lebt sie seit vier Jahren in Hamburg, aber für unser Interview macht sie eine Ausnahme. Die quietschvergnügte, lebensfrohe Sängerin ist noch etwas erkältet, was ihrer ohnehin schon rauchigen Stimme noch mehr Vibrato verleiht, als sie „eines dieser leckeren, belegten und vor allem selbstgebackenen Brötchen“ im The Bread Station in Neukölln bestellt. Diese Stimme ist es auch, die 2016 nicht nur ein ganzes S-Bahn-Abteil in eine Partyzone verwandelte, sondern auch Millionen von Menschen auf YouTube begeisterte.
Kiddo Kat spricht immer noch etwas ungläubig von dieser Zeit. Als ihr Musikvideo viral ging, war sie gerade mit ihrer Band in Dänemark, um ungestört an einem neuen Album arbeiten zu können. „Damals haben wir natürlich keine einzige neue Songzeile geschafft“, sagt die Newcomerin. Denn am Morgen nach dem Upload des Videos riefen plötzlich den ganzen Tag über Redaktionen auf ihrem Handy an, dessen Nummer damals noch einfach so auf der Website stand und sogar in die Markus Lanz Show wurde sie eingeladen. „Ich darf mir die Show gar nicht mehr anschauen, ich war so überdreht. Wir waren wie auf einer Art Naturdroge“, so Kiddo lachend. Immerhin hatte sie davor noch nie ein Interview gehabt und empfindet diese Episode ihres Lebens immer noch als total surreal. Wer hätte auch ahnen können, dass ein Musiker nebenan sitzen und derart hingebungsvoll mitsingen würde, als sie mit ihren Freunden auf dem Heimweg von der Frankfurter Musikmesse einfach ein bisschen jammte? Diese Spontanität und die Authentizität des Videos kamen gut an: Innerhalb weniger Stunden sahen 100 Millionen Zuschauer das Video ihrer mitreißenden Kiss-Imitation.
Hip Hop statt Techno-Rave
Woher kommt eigentlich der Spitzname Kiddo Kat? „Ich musste mir was einfallen lassen, denn ein deutscher Name mit englischsprachiger Musik hätte nicht gepasst, das hat keinen Swag. Kiddo heißt ja Kind und steht für Unbeschwertheit, denn ich möchte nie ganz erwachsen werden“, sagt die junge Frau in ihrem bauchfreien Top und ihrer Jogginghose, die auf ihrem Album-Cover mit rosa Pelzmantel auf einem Donut im Pool liegt und an einer Melone knabbert. Diese unbeschwerte Art ist es auch, die sie so sympathisch macht. Ein wenig erinnert uns ihr Stil tatsächlich an die Popsängerin Gwen Stefani, mit der Kiddo oft zu Schulzeiten verglichen wurde und die sie auch selbst ganz gut findet. Sie mag starke Frauen: Heute ist ihr musikalisches Idol die Sängerin Adele, da diese sich eben nicht selbst inszeniere, sondern bei einem Konzert genau für den Moment und ihr Publikum singe. Ihr erstes Album kaufte Kiddo Kat tatsächlich von der rotzigen Hip Hop Girlband Tic Tac Toe, denn die Musikerin liebt Hip Hop – weshalb es sich auch ganz gut trifft, dass sie jetzt in Hamburg wohnt, wo die Hip Hop Szene größer ist. Sogar Tanzunterricht in Hip Hop, Urban und Jazz nimmt sie hier durchaus erfolgreich, wie man im Musikvideo In the Air sehen kann.
Als wir uns zwischen den Marktständen am Landwehrkanal durchquetschen, wo sie früher oft selbst Straßenmusik gemacht hat und immer noch ab und zu auftritt, muss Kiddo unbedingt schnell noch ein paar Pasten kaufen. „Ich liebe Märkte. Vor allem diese tolle Atmosphäre und das gemütliche Schlendern. Da muss ich gar nicht unbedingt etwas einkaufen – wobei, diese Antipasti Sachen sind immer richtig geil“, so Kiddo. Als wir gerade darüber reden, spricht sie ein Straßenmusiker an, den sie aus ihrer früheren Berliner Musikerzeit kennt. Kennermäßig wird über kommende Musikevents und einen ominösen „Onkel“ geredet, den man in der Szene wohl kennen muss. „Hier am Wochenmarkt aufzutreten ist eine gute Möglichkeit, um sich als Musiker etwas Geld dazu zu verdienen“, erklärt uns Kiddo. Klar, von Plattenverkäufen alleine kann heutzutage kein Musiker mehr leben.
Von Tiergarten nach Eimsbüttel
Beim Weiterspazieren am Kanal erzählt uns die 27-Jährige auch, warum sie aus Berlin weggegangen ist. Als sie vor einigen Jahren in Hamburg an einem Pop-Workshop teilnahm, gefiel es ihr dort so gut, dass sie zunächst ein Jahr lang zwischen beiden Städten pendelte. Schließlich lernte sie dort auch ihren Freund kennen und blieb schließlich ganz. Die im Bezirk Tiergarten aufgewachsene Berlinerin spricht darüber, dass sie in Hamburg mehr an ihrem Traum arbeite, weil es nicht so viel Abwechslung gebe. Außerdem finde sie es schön, dass das Publikum nicht ganz so übersättigt sei wie in Berlin, wo jeden Abend ein tolles Konzert stattfindet. „In Berlin kann man jahrelang rumdümpeln und immer beschäftigt sein, aber eigentlich nichts machen“, so Kiddo, die jetzt schon vier Jahre in der Hansestadt lebt.
Natürlich vermisst sie ihre Heimatstadt Berlin aber trotzdem, schließlich wohnen hier ihre Familie und Freunde. Auch die türkischen Läden, die es in ihrem Viertel Eimsbüttel kaum gebe und – natürlich – die Spätis und überhaupt das ganze Multikulti in Berlin fehlen ihr in Hamburg. „Allerdings fällt mir auf, dass die Armut immer schlimmer wird in Berlin! Letztens am Kotti gab es keinen Ort, wo man sich gerne mal kurz hingesetzt hätte: Da stank es nach Urin, da nach Erbrochenem. Am Kottbusser Tor war es natürlich auch früher schon schlimm, aber gefühlt ist es noch extremer geworden“, so Kiddo. Was ihr an ihrer geliebten Heimat Berlin noch auf die Nerven geht? „Die vielen Menschen, die herziehen, weil sie irgendwas hier sehen, was sie spannend finden und das sie dann verkörpern wollen. Man merkt ihnen aber beim ersten Satz an, dass sie nicht sie selber sind, sondern eine Rolle spielen. Viele Leute verstehen nicht, dass sie viel cooler wären, wenn sie einfach so wären wie sie sind“, findet Kiddo. Diese Selbstinszenierung nerve sie schon sehr: „Also das, was auf Social Media schon zu viel stattfindet, findet in Berlin auf den ganzen Parties noch mehr statt.“
Einmal roter Teppich und zurück
Apropos Social Media – die sozialen Plattformen sieht Kiddo sehr kritisch, obwohl sie auch etwas zwiegespalten ist. Immerhin ist sie selbst durch ein YouTube-Video berühmt geworden und sieht durchaus, dass Social Media jungen Musikern die Chance bietet, ohne Label den Durchbruch zu schaffen und von ihrer Musik zu leben. Das gebe auch eine riesige künstlerische Freiheit, wenn man selbst und nicht das Label bestimmt, wo es lang geht. „Ich bin unendlich dankbar für das, was mir da passiert ist. Aber die tägliche Beschäftigung mit Social Media ist eine zusätzliche Belastung und fast schon ein zweiter Job“, so Kiddo Kat. Diese Schnelllebigkeit von Trends hat die Sängerin selbst erfahren: „Die Leute feiern dich und am nächsten Tag kommt das nächste Video, das sie feiern. Daraus mache ich mir nicht so viel aber wenn man so lange an einer Platte sitzt, wünscht man sich schon, dass die Aufmerksamkeit länger dauert als einen Swipe“, sagt Kiddo, die besonders die Oberflächlichkeit von Social Media stört. Dieses Thema besingt sie in ihrem Song Just Kidding mit den schönen Worten: „Forget about the duckfaces and the fake chicks / Go wipe off your lipgloss, wear a smile on your lips“. Ironischer Weise hat sie gerade erst den Bunte New Faces Award in der Kategorie Social gewonnen: „Einmal roter Teppich und zurück, das ist schon eine Parallelwelt“, sagt sie.
Über solche Themen singt Kiddo Kat auch auf ihrem neuen Album Piece of Cake, das gerade erschienen ist und mit dem sie viele persönliche Themen verarbeitet hat. In dem Song Growing under pressure geht es beispielsweise darum, wie man durch den Ruhm unter Druck gerät, aber dadurch auch stärker werden kann, in Behave singt sie davon, dass sie sich von niemandem mehr sagen lässt, was sie tun soll: „Perfect your instagram timeline / Find a good rhyme / I don’t think so.“ Das Album ist ein Mix aus Empowerment und Guter-Laune-Musik. Inspiriert wird sie zu diesen Songs aus dem persönlichen Umfeld: Ihr Opa zum Beispiel, der sich im Altersheim noch einmal neu verliebte, brachte Kiddo dazu, eine Hymne ans Leben zu schreiben. „Auch wenn alles vergänglich ist, sollte man erst recht alles mitnehmen und mit einem Lächeln aus dem Leben gehen“, sagt Kiddo. Die positive Lebenseinstellung hat sie übrigens nicht nur von ihrem Opa, sondern auch von ihrem Vater, der sie früher schon als Kind zu Konzerten und Ausstellungen mitschleppte. Heute ist der stolze Papa ihr größter Fan und überraschte sie zum Album-Release von Piece of Cake sogar mit einer selbst gebackenen Torte.
Von Schrammelflop zu Power-Pop
Sogar zu den Konzerten ihrer ersten Band Escape, die sie im Alter von elf Jahren zusammen mit Freundinnen gegründet hatte, kam er zuverlässig – auch wenn das Zuhören dieser ersten musikalischen Versuche laut Kiddo Kat garantiert keinen Spaß machte. Die Musik wurde erst besser, als die Freundinnen zusammen Songwriter-Workshops im Jugendzentrum Spirale am Fehrbelliner Platz besuchten. Ihre Mutter hatte dagegen mehr Schwierigkeiten mit Kiddos Karrierewunsch, da sie ein absoluter Sicherheitsmensch sei. „Da sind wir sehr unterschiedlich. Seit ich ihr mit 13 gesagt habe, dass ich Sängerin werden will, sind wir da immer wieder aneinander gerasselt“, erzählt Kiddo ganz ehrlich von ihrer fürsorglichen Mutter.
Nach ihrem erfolgreichen Video sei ihre Mama aber ein bisschen entspannter geworden und sorge sich nun eher darüber, dass sie zu viel arbeite. „Seit ich in Hamburg wohne, ist witziger Weise jetzt Berlin meine Entspannung. Hier mache ich mir ein paar freie Tage, das ist mein kleiner Urlaub. Und am Sonntag geht es meistens zu meiner Mama zum gemütlichen Teetrinken und Quatschen auf der Couch“, sagt die quirlige Sängerin Eis schleckend im Fräulein Frost, wo wir unter quietschbunter Einhorntapete und bei klassischer Musik noch über ihre tollen Haare sprechen. Hatte sie die immer schon so lang? „Ich mag keine Friseure: Als Kind hatte ich einmal einen Kurzhaarschnitt, da sah ich aus wie Merkel. So will man auf jeden Fall nicht als Teenager aussehen. Aber wenn das jetzt mein Markenzeichen ist, kann ich sie eh nie wieder schneiden“, sagt Kiddo Kat und lacht.
Am 16. Oktober kannst du Kiddo Kat live im Privatclub in Kreuzberg im Rahmen ihrer Piece of Cake-Tour erleben.