Als mittellose junge Frau kam Jeanne Mammen nach Berlin, ein paar Jahre später veröffentlichte sie bereits Karikaturen und Skizzen in Magazinen wie Till Eulenspiegel, Simplicissimus, Ulk und Junggesellen. Für diese Werke heimste sie sogar von Kurt Tucholsky großes Lob ein. Jeanne zeichnete sich vor allem durch ihre scharfe Beobachtungsgabe aus: Die Fähigkeit, Momente und ganze Geschichten in ein Bild zu übersetzen, war eines ihrer Talente. Als sie 1915 nach Berlin zurückkam, gleichzeitig eine Flucht vor der Internierung, fühlte sich die Künstlerin, die in Paris aufgewachsen und in Brüssel studiert hatte, nicht mehr heimisch in ihrer Heimatstadt. Arm und einsam, hielt sie sich lieber im Hintergrund und beobachtete ihre Umgebung – die erlebten Szenen flossen als scharfsinnige Momentaufnahmen in ihre Werke ein.
Jeanne Mammen agierte trotz aller Beobachtung aber keineswegs immer im Hintergrund, ganz im Gegenteil. Sie lotete gerne Grenzen aus, brach gesellschaftliche Tabus und war eine Vorreiterin für Frauen in der Kunst: So malte sie acht Bilder mit Liebes- und Lebensszenen zwischen Frauen nach den Gedichten Les Chansons de Bilitis von Pierre Louys, die eine Hommage an die lesbische Liebe darstellen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 verhinderte jedoch das Erscheinen der Auflage. Gerade die moderne selbstbestimmte Frau – meistens mit Kurzhaarschnitt und Zigarette in der Hand – war eines ihrer Lieblingsmotive: Besonders gut schafft sie es, die Intensität im Blick dieser Frauen einzufangen. Dabei rebellierte die Malerin aber gleichzeitig gegen das Schönheits-Diktat der Frauen. Sie zeichnete beispielsweise schreckliche Fratzen, um die Anstrengung dieses schönen Scheins zu verdeutlichen.
Künstlerischer Widerstand gegen Nazis
Auch gegen das Nazi-Regime rebellierte Mammen – wie viele andere Künstler bediente sie sich dabei auf subtile Weise der Tiersymbolik: Der Wolf als Bildnis der Schrecken der Hitler-Diktatur, die sich die zerstörerischen, inhumanen Triebe des Menschen zunutze macht. Die historischen Ereignisse markierten einen Bruch in der Karriere der Malerin: Sie zog sich in die „innere Migration“ zurück, malte abstrakte Werke mit verzerrten, kubistischen Motiven, die sie jedoch geheim hielt. Nach dem Krieg kehrte sie wieder in die Öffentlichkeit zurück, nur um sich schließlich 1955 gänzlich aus der Malerei zurückzuziehen. Sie spricht selbst ironisch von einer „Antibilderpille“, erst 1965 begann sie, experimentelle Collagen aus Farbe, Pralinen- und Bonbonpapieren zu schaffen – ein Ausdruck des „Dialogs der Gegensätze“, aus dem ab und zu noch ein Hasengesicht frech hervorgrinst. Die letzten Bilder ihres Spätwerks ähneln eher exotischen Schatzkarten, deren Bedeutung sich der Leser durch die Betrachtung der Symbole selbst erschließen muss.
Die Ausstellung „Jeanne Mammen: Die Beobachterin“ ist noch bis zum 15. Januar in der Berlinischen Galerie zu sehen.