Die Debatte um die Integration von Geflüchteten reibt auf, macht wütend und müde. Aber sie muss geführt werden. Und wer in Berlin ankommt, braucht nicht nur Mitleid und eine vorübergehende Finanzspritze, sondern Sicherheit und einen Job. Aber für Menschen aus Ländern, in denen eine Flucht oft die einzige Alternative ist, gibt es bei der Integration auf dem deutschen Arbeitsmarkt einige Probleme: die Sprache, die sie im Büro beherrschen sollen, das Fehlen von einem beruflichen Netzwerk und natürlich kulturelle Unterschiede.
Zwei Männer auf der Suche nach dem kreativen Potential
„Es geht um Trends. Wenn jemand Talent hat, findet er in Berlin trotzdem keine Arbeit, weil er die deutschen Marktbedingungen nicht kennt“, erklärt uns Dávid Ariel Szauder. Der Medienkünstler und Urban Designer kommt aus Ungarn und lebt seit neun Jahren in Berlin. In einem Discounter fielen ihm zwei Geflüchtete auf. Sie hielten nur wenige Artikel in der Hand, lächelten die anderen Einkaufenden an der Kasse an und ließen sie in der Schlange immer wieder vor. Wer sind diese Menschen, fragte sich Dávid. Was haben sie gemacht, bevor sie sich die Zeit im deutschen Supermarkt vertrieben haben? Waren sie vielleicht Künstler, Illustratoren oder Designer? Und wie können wir von ihrem kreativen Potential erfahren, wenn wir sie nicht fragen?
Er erzählte seinem Kumpel Iván Gábor von seinen Gedanken. Der sagt: „Ein Geflüchteter, der sich bei Berliner Kreativagenturen bewirbt, wird dort abgelehnt und am Ende im besten Fall ein nicht sehr glücklicher Mann als Kellner in einem Restaurant.“ Denn er weiß, im Vergleich zu Berliner Bewerbern hinken die meisten Geflüchteten aus dem arabischen und afrikanischen Raum hinterher. Weil sie sich ganz anders bewerben, weil sie die Sprache nicht beherrschen, bisher nur kleine Projekte realisiert oder mit mittlerweile veralteten Programmen gearbeitet haben zum Beispiel. Das ändert aber nichts an ihrem Talent und den frischen Ideen, die ihnen durch den Kopf gehen. Um diese Menschen konkurrenzfähig zu machen, braucht es vor allen Dingen Zeit und Energie. Beides sind die Dávid und Iván bereit zu investieren.
Die Mission der Agentur
Denn Dávid ist der Überzeugung, dass „jeder mit seinen Fähigkeiten und Mitteln einen Weg finden sollte, etwas zur Lösung der größten Krise unserer Zeit beizutragen.“ Iván weiß außerdem, wie man eine Firma führt. In Budapest hat er eine Medien- und Kommunikationsagentur mit mehr als hundert Mitarbeitern geleitet und war international vernetzt. Die politische Situation seines Heimatlandes brachte ihn dazu, alles zu verkaufen und in Berlin ein neues Leben zu starten. „Es war moralisch für mich nicht mehr tragbar“, erzählt er. „Politik hat sich sehr in die Wirtschaft und das Leben eingemischt, ich wollte kein Teil dieses Systems mehr sein.” In Berlin hat er sich zum Ziel gesetzt, ein nachhaltiges soziales Start-up zu gründen. Denn er begreift sich selbst als Flüchtling – allerdings als einen, der von den Freiheiten eines EU-Bürgers profitiert.
Mit ihrer Re-Agency haben die beiden gemeinsam einen Weg gefunden, ihre Ziele zu verwirklichen. Sie wollen Neu-Berlinern mit ihrer Kreativ- und Kommunikationsagentur dabei helfen, den Sprung auf den Jobmarkt zu schaffen. Dafür will Re-agency nicht nur Arbeit, sondern auch ständige Weiterbildung für seine Mitarbeiter bieten.
Die größte Hürde ist es für die beiden Gründer jetzt, Unternehmen zu finden, die ihre Agentur mit kreativen Projekten und Kampagnen beauftragen. Das passiert erst einmal sicher nur dann, wenn die Kunden die gute Sache hinter Re-Agency unterstützen möchten. Trotzdem sei es nicht nur Gutmenschentum von Firmen, mit ihnen zu arbeiten, erklärt Iván. Stattdessen müsse man auf dem Berliner Markt nur den Bedarf nach der Arbeit der Re-Agency finden: „Unser Kunde könnte jede Firma oder Organisation sein, die in Berlin mit Flüchtlingen als Zielgruppe zu tun hat. Zum Beispiel die Müllabfuhr. Sie muss alle Menschen über Mülltrennung aufklären. Wir haben Mitarbeiter im Boot, die wissen, wie man das Geflüchteten in Berlin vermittelt.“
Sie wissen nicht, was sie leisten können
Also müssen Dávid und Iván im Moment Klinken putzen und netzwerken, potentielle Auftraggeber von der Qualität ihrer Mitarbeiter überzeugen, diese Mitarbeiter schulen und außerdem die Talente finden, die für sie arbeiten können. Dafür haben sie sich jetzt schon durch den bürokratischen Wust von Angeboten, Organisationen und Behörden in Berlin gekämpft, die eine Anlaufstelle für Geflüchtete sind. „Dort arbeiten viele sehr nette Menschen, aber sie verweisen uns immer weiter, geben mir Flyer, schicken mich zu Seminaren oder senden Newsletter. Ich habe das Gefühl, hier wird viel Geld in Organisationen investiert, aber am Ende trägt das nicht so viel zur Lösung des Problems bei“, fasst Iván seine Erfahrungen zusammen.
Re-Agency ist nun eine Anlaufstelle für alle talentierten und kreativen Geflüchteten in Berlin. Das kann eine Designerin aus Syrien sein oder ein Pressereferent aus Ankara. Vor allem sind die Zielgruppe Menschen, die schon eine zeitlang in ihrer Heimat gearbeitet haben, die auf dem deutschen Markt aktuell aber keine Chance haben. Egal, ob es an einem Mangel an beruflichen Erfahrungen liegt, an ihrer Familiensituation oder an einem Abschluss, der in Deutschland nicht anerkannt wird. „Es gibt viele Professionelle in Berlin, die gute Arbeit leisten können“, sagt Dávid, „sie wissen es nur noch nicht.“