Als Jörg Thadeusz in das kleine Café Milch und Honig kommt, geht die Sonne auf. Und das nicht nur im übertragenen Sinne, auch draußen erstrahlt die regennasse Landschaft jetzt wieder hell und freundlich. Bevor wir uns von ihm durch seinen Lieblingskiez Zehlendorf führen lassen, genießen wir frischen Rhabarber-Kuchen und sehr guten Kaffee. Für Genuss ist Jörg immer zu haben, auch wenn er kaum Zeit dafür hat, denn der charmante Moderator, erfolgreiche Autor und vielseitige Journalist ist ständig unterwegs. Seine Oma wollte, dass der Junge mit Abitur etwas Anständiges studiert. Das hat er, allerdings nicht lange: Er schmiss das Geschichts- und Politikstudium und ging zum Radio.
Sexologie als Wunschfach
„Wenn ich heute noch mal studieren würde, dann Sexologie“, gesteht uns Jörg und lacht. “Ich hatte gerade die Sexologin Ann-Marlene Henning in meiner Sendung. Toll. Das Problem ist, Sexologie gibt es nur als Postgraduierten-Studiengang…“ Schade, seine exzellenten Zuhörer- und Fragequalitäten, die er in ebendieser Sendung Thadeusz im RBB immer unter Beweis stellt, werden an den Unis nicht für ein Psychologiediplom anerkannt. „Ich wüsste auch nicht, ob ich die nötige Seriosität dafür ausstrahle, Paare zu therapieren. Aber ist es nicht erstaunlich, dass die heutigen Moralvorstellungen trotz sexy Werbung und frei zugänglicher Pornografie verstaubter sind als in den 1950er Jahren?“
Um Seriosität muss sich Jörg Thadeusz im TV jedenfalls keine großen Sorgen machen: Er gilt als Meister der Schlaumeierspielchen („die machen einfach Spaß“) und selbst wenn sein Hillary Clinton-Kostüm, das er für seine Sendung Thadeusz und die Beobachter anlegte, angeblich aussah wie Hermann Göring als Transe, bleiben alle Sympathien immer auf seiner Seite. „Peinlich sind mir ganz andere Sachen“, gesteht Thadeusz offen: „Für eine Preisverleihung sollte ich nicht im Anzug kommen sondern jugendlich… Da war ich mir selbst peinlich oder wie Guido Maria Kretschmer es ausdrücken würde: Die Jeans tat nichts für mich.“
Leben im Jogger
Privat legt er auch gern den Ornat ab, wie er seinen Anzug nennt. „Zu Hause sehe ich aus, wie ein Assi“, er lacht. „Neulich war ich direkt nach der Arbeit im Getränkemarkt und die Händlerin fragte: heute nicht im Trainingsanzug? Da wusste ich, ohwei…“ Dabei trägt er den Trainingsanzug nicht nur auf dem Sofa, er joggt sehr gern. Für dieses Hobby wohnt der 48-Jährige jetzt ideal – direkt am Wannsee. „Ich lebe meinen Traum“, bekennt er. Nach Stationen in Pankow und Zehlendorf wohnt er nun in einem Eigenheim, gemeinsam mit seiner Frau Anna Engelke, die als Pressesprecherin des Bundespräsidenten tätig ist, und drei Katzen. Hier fegt er morgens die Terrasse und fährt mit seinem Kajak Biber beobachten.
Eine Mall ohne Hipster
„Das ist mein Haus“, betont er mit bühnenreifem Pathos. „Und das von Anna natürlich. Na gut, zum größten Teil gehört es noch der Bank“, gesteht er und lacht. Diese neue Heimat wollte er uns aber nicht zeigen. „Da ist nichts los!“ Also brechen wir auf in Berlins älteste Mall. Ganz ohne LP12-Glam oder hippe Bikini-Atmosphäre zeigt sich die Passage Onkel Toms Hütte direkt am U-Bahnhof ehrlich und funktional – wie auch das Asia Rice, wo er gern mal mittags isst. „Hier gibt es keine Hipster“, freut er sich. Im Laden Das kleine Teehaus wird er fast freundschaftlich begrüßt, nicht weil man sich darüber freut, einen Prominenten als Stammkunden gewonnen zu haben, sondern weil Jörg Thadeusz auch hier Herzen erobert hat. Neben der Beratung plaudert die nette Inhaberin mit ihm über den nächsten Urlaub und Flugzeugtypen – ihr Mann arbeitet bei einer Fluggesellschaft.
Ganz nebenbei erfahren wir, dass Rauchtee nach kaputten Kamin schmeckt. Mit einer Tüte Orange-Lemongras-Tee ist Jörg Thadeusz also geschmacklich viel besser dran. Dann führt uns der Moderator zum Mexikoplatz. „Ich brauche eine Reibe“, entschuldigt er sich und betritt den kleinen Küchenladen Quasthoff & Hingst. Man merkt, er weiß, was er sucht und wovon er spricht. „Ich koche wirklich sehr gern und bin auch schon gut ausgestattet, aber irgendwas fehlt immer.“ Heute also die Reibe mit der man sogar Pilze fein hobeln kann und weil er schon mal da ist, wandert auch ein neues Schneidebrett in seine Einkaufstasche.
Gleich eine Tür weiter ist die Buchhandlung am Mexikoplatz. „Meine Bücher führen die nicht“, stichelt er auf seine unnachahmliche Art, als wir den Laden betreten, sodass die Buchhändlerin lachen muss. „Das ändert sich ja vielleicht demnächst“, erklärt sie und dann lächeln Jörg Thadeusz und die Buchhändlerin verschwörerisch. „Wenn das nächste Buch gelingt, bin ich nicht mehr Autor, sondern Schriftsteller“, erklärt Thadeusz verschmitzt – ein altmodischer Begriff, der sein Grinsen bestens erfasst. Auf dem Gebiet der Sachbücher ist Jörg Thadeusz belesener als die Buchhändlerin selbst, gesteht die freimütig, und es bereitet ihr Vergnügen, mit Jörg zu fachsimpeln. Auch wir lassen uns etwas von ihm empfehlen: Der Zweite Weltkrieg
Muschelbläser auf Hawaii
Der Mexikoplatz hat so gar nichts mit der gleichnamigen Weltstadt auf dem nordamerikanischen Kontinent gemein. Abgesehen von Jörgs humorvollen Urologen, der Weihnachtskarten mit dem Spruch „Make Prostata great again!“ versendet, erscheint hier alles recht gediegen. Brunnen, Stiefmütterchen, alte Bäume und ein Café, das bei Senioren sehr beliebt ist. Das perfekte Umfeld für den bekennenden Spießer? „Wenn ich noch ein junger Mann wäre, um die dreißig, dann würde ich vielleicht nach Amerika auswandern, dorthin wo es warm ist, nach Hawaii, da könnte ich auf Hochzeiten als Muschelbläser arbeiten, aber so? Stell dir vor, ich würde da jetzt leben, White-Trash-mäßig im Wohnwagen mit drei Zähnen und Raucherbein, das ich mir nicht abnehmen lassen kann, weil es zu teuer wäre.“
Dann wird er ernster: „Vor zwei Jahren war ich im amerikanischen Gesundheitssystem nach einem schweren Sturz vom Fahrrad. Meinen mehrfach gebrochenen Arm haben sie versucht einzurenken, das Röntgen hatten die jungen Kollegen noch nicht gelernt, und dann haben sie meinen Arm in einen zu kleinen Gips verpackt. Das war Folter.“ Gerettet hat ihn, dass sie ihm großzügig Schmerzmittel verabreicht haben, 180 Tabletten zur freien Verfügung – „von denen bekommt man hierzulande mit viel Bittebitte maximal zwei nach einer OP“, und schließlich das BG Klinikum in Hamburg, wohin er überführt wurde. „Dank der Tabletten war ich wie auf Droge und konnte sogar fünf Stunden im Flugzeug schlafen.“ Für den Dauer-Reiser mit Flugangst ein wahres Wunder.
In Hamburg hat er auch seine Zeichenlehrerin gefunden. Er hält sich nicht für ein unentdecktes Talent, aber es tut ihm gut. Nebenher lernt er von der Malerin Carolin Beyer sogar noch etwas über Kunstgeschichte. Seitdem ist er ein Fan von Museen und alten Meistern, von denen natürlich auch unsere Alte Nationalgalerie einige zu bieten hat. Ungern lassen wir Jörg Thadeusz nun wieder seiner Wege ziehen, doch sein Urlaubspflegehund Hilde möchte die Bäume der Umgebung näher begutachten. Also summen wir zum Abschied für den leidenschaftlichen Dortmund-Fan im romantischen Sonnenuntergang das Lied der Fußballnationalmannschaft von 1986: Mexico mi amor – unter der roten Sonne sehen wir uns wieder in …Zehlendorf am Mexikoplatz.