Unsere Stadt aus der Ferne

Justin Jampol: Wieso sich Berlin und L.A. ähneln

Justin Jampol ist Gründer und Direktor des Wendemuseums in Culver City, Kalifornien.
Justin Jampol ist Gründer und Direktor des Wendemuseums in Culver City, Kalifornien. Zur Foto-Galerie
Im nächsten Jahr eröffnet der US-amerikanische Historiker die eigenen Räumlichkeiten des von ihm mitinitiierten Wendemuseums mit Kunst und Alltagsgegenständen aus der DDR in Culver City bei Los Angeles. QIEZ.de hat mit Jampol über sein besonderes Projekt und seine Beziehung zu Berlin gesprochen.

Es ist eine Verbindung, die fast schon naheliegt: Der für seine aufwendigen, bildgewaltigen und immer wieder auch provokanten Veröffentlichungen bekannte Taschen Verlag bringt zusammen mit dem Wendemuseum aus Los Angeles dessen Sammlung auf den Buchmarkt. Im zweisprachigen Band „Jenseits der Mauer“ sind auf gut 900 Seiten über 2.500 Kunstwerke und Alltagsgegenstände aus der DDR abgebildet, die sich im Besitz des Museums befinden. Die Begleittexte stammen von Akademikern und Experten aus Europa, Kanada und den USA.

Herausgeber dieses Werks wie auch Gründer des Wendemuseums ist der Historiker Justin Jampol. Mitte 2015 soll die ständig wachsende Sammlung von Zeugnissen der DDR-Kultur ein festes Heim in einer ehemaligen Waffenkammer der US-Nationalgarde bekommen. Bisher wurden ausgewählte Exponate bei temporären Ausstellungen an anderen Orten gezeigt oder auch leihweise für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. Am 8. November präsentierten Museum und Taschen Verlag im „Armory“-Gebäude zunächst mal die enzyklopädische gedruckte Version der Kollektion, die weit mehr als ein reiner Ausstellungskatalog ist.

Eine andere Art von Museum

Wendemuseum Flugkoffer
Den Ort des Wendemuseums, Tausende Kilometer von den ehemaligen Schauplätzen des Geschehens entfernt, sieht Justin Jampol keineswegs als Nachteil. Eine unvoreingenommene Betrachtung könne durch die geographische wie zeitliche Distanz einfacher werden. Jampol schwebt eine Ausstellung jenseits hierzulande gängiger historisierender Interpretationen vor. So sei die Möglichkeit gegeben, anhand der Sammlung auch aktuelle Themen zu reflektieren. Schließlich ist Los Angeles auch die Heimat vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die keinen direkten Bezug zu Thematik und Epoche haben – das Wendemuseum hat sich daher für einen offenen, am Nutzer orientierten Zugang entschieden. Interdisziplinär sollen auch Besucher angesprochen werden, die sich etwa für Design, Architektur oder Schriften interessieren.

Berlin ist für Justin Jampol auch im Kontext des Museums sehr wichtig. Etwas überraschend ist die Begründung für seine Zuneigung zur Stadt: „Ich liebe Berlin, weil es L.A. in vielerlei Hinsicht ähnelt – auch wenn das eine Minderheitenmeinung sein dürfte“, sagt der Historiker. Parallelen zwischen den beiden Metropolen sind für ihn die großen Straßen und Boulevards, das fehlende Stadtzentrum, die temporäre, sich erneuernde Architektur oder auch der historische Status als Städte des Kalten Krieges – denn Los Angeles und Umgebung waren nicht nur das Zentrum der Filmbranche, sondern auch ein wichtiger Standort für Militärtechnik und Waffenindustrie. Umso passender findet Jampol die künftige Unterbringung des Wendemuseums in der früheren Waffenkammer, einem Gebäude, dem man seine Vergangenheit nach wie vor ansieht. Er weist auf die Ironie der Geschichte hin: In einem Bau, der den Waffen des Ostblocks widerstehen sollte, werden nun Exponate von dort ausgestellt.

Menschen ohne Anzüge und verlorene Orte

Mit den Parallelen zwischen Berlin und L.A. ist der Historiker noch nicht am Ende: Beide Städte seien Herausforderungen und ständig im Wandel. Außerdem stellten sie Zentren der Kreativwirtschaft dar, Menschen in Anzügen sehe man dagegen weniger. Jampol hat bei früheren Besuchen auch die Nachwendezeit in Berlin miterlebt und hier einige der „magischsten und bemerkenswertesten Orte“ kennengelernt, etwa beim Ping-Pong-Spielen in einer unterirdischen Location.

Fragt man ihn nach der Erinnerungskultur in seiner selbst proklamierten Lieblingsstadt, möchte er sich aus der Distanz kein finales Urteil erlauben, lässt aber Zweifel am Komplettabriss des Palasts der Republik durchschimmern. Leicht konsumierbare Ausstellungen wie die des DDR-Museums, das unter anderem mit dem Mitmach-Effekt punktet, hält Jampol für legitim unter kommerziellen Gesichtspunkten, möchte aber selbst einen anderen Weg gehen.

Einer seiner Lieblingsbezirke in Berlin ist Treptow mit seinen Parks. Jampol fühlt sich von den ‚lost places‘ angezogen, dem „Niemandsland der Geschichte“, Orten, die aus verschiedenen Gründen nicht bekanntgemacht werden – wie etwa das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park. Ebenso gerne spaziert er über die Frankfurter und die Karl-Marx-Allee mit ihren ‚Stalin-Bauten‘. Zum Berlin-Besuch gehört aber auch ein Besuch in der Paris Bar, etwa mit Verleger Benedikt Taschen, der im Gegenzug auch bei der Vorstellung des gemeinsamen Buches in L.A. war. Und schließlich ist Jampol noch Fan eines speziellen (ess-)kulturellen Hybrids – der Berliner Currywurst.

TASCHEN. Jenseits der Mauer: Kunst und Alltagsgegenstände aus der DDR. Justinian Jampol. Hardcover, 22 x 32 cm, 904 Seiten. € 99,99.

Foto Galerie

Justin Jampol: Wieso sich Berlin und L.A. ähneln, Puschkinallee 36, 12435 Berlin

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