Die künftigen Rockstars sitzen etwas gelangweilt im Halbrund. Bislang existiert ihre Band nur als Skizze auf einem Bogen Packpapier. Tenorsaxofon? Altsaxofon? Alle Finger bleiben unten. San Ra, die Bandchefin, macht Mut: „Saxofon ist ein Kinderinstrument. Total einfach. Keine Angst. Wir sind cool und haben Spaß.“
16 junge Männer zwischen 20 und 35 versuchen seit einer Stunde, cool zu sein, während Trainerin San Ra ihnen die Coverband erklärt, zu der sie verschmelzen werden. So macht sie es auch mit Bankern oder Jugendlichen aus dem Problemkiez. Diesmal besteht die Band eben aus Knackis auf Zeit, Untersuchungshäftlingen der JVA Moabit.
Beim ersten Treffen zeichnet San Ra die Bandstruktur auf Papier. Alle bekommen ihren Platz zugewiesen, keiner bleibt außen vor. Die Leute, die schon mal ein Instrument gespielt haben, helfen den Totalanfängern. Nils, der schüchterne Junkie, der wegen Beschaffungskriminalität hier ist und auf einen Therapieplatz wartet, Halbprofi auf dem Klavier, zeigt Benni (Name geändert), wie er Akkorde auf dem Keyboard greifen muss. Benni ist wegen Körperverletzung hier und wartet auf seinen Prozess.
Musikalische Amateure und Profis
Zwei Russen übernehmen die Saxofone, pusten vergeblich hinein und lachen. Es sind aber auch Profis dabei. Einer der Kurden, Künstlername Azad, singt Volkslieder auf traditionellen Hochzeiten. Hier drinnen wird er zusammen mit Spike, Ex-Frontmann der Punkband Betontod, den Gesangspart übernehmen. Spike hat öfter gegen Nazis demonstriert und Ärger mit der Polizei bekommen. Sein mutmaßliches Delikt: Landfriedensbruch. Eigentlich wurde er freigesprochen, aber die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. Wann erneut verhandelt wird, weiß er nicht.
Warteliste für Bandprojekt
In der Untersuchungshaft gibt es nur für die Hälfte der Häftlinge Arbeitsmöglichkeiten, die andere Hälfte sitzt 23 Stunden in der Zelle. Da ist jede Abwechslung recht. Für das Bandprojekt gibt es eine Warteliste. Am 21. Juni ist das Konzert vor 140 geladenen Gästen, Mithäftlingen. Interne Konzerte sind für die JVA günstiger, sie muss dann keine Gema-Gebühren zahlen.
San Ra bietet sonst Seminare für „empathische Mitarbeiterführung“ und „Teambuilding“ an. Unternehmen, Behörden oder Schulen sind ihre Kunden. Die Teilnehmer übernehmen eine ungewohnte Rolle, sie werden „neu orchestriert“, da lernen sie sich dann völlig anders kennen. Das Ziel: neue Ideen, mehr Motivation und schlummernde Potenziale heben.
Im Gefängnis sind die Ziele bescheidener: Gewalt vorbeugen, Abwechslung bieten, Selbstvertrauen aufbauen für die Zeit danach. Und: gegenseitiger Respekt. „In einer Band sind alle gleich viel wert“, sagt San Ra, die mal Lehramt in Rostock studiert hat. Ihre Fächer: Musik, Englisch.
Pläne für ‚draußen‘
Sebastian, 23, als Bassist gecastet, hat als Einziger Häftlingskleidung an, klassisch blau gestreift. Er habe seine Bewährungsauflagen verletzt, erzählt er, jetzt muss er zwei Jahre absitzen und hofft, dass er in der JVA eine Ausbildung machen kann. Ihm imponiert San Ra, vor allem ihre „extrem optimistische Ausstrahlung“.
Zurück im Probenraum stellen sich alle wieder in Bandformation auf. San Ra versucht mit stoischer Geduld, die Einsätze zwischen Keyboardern, Drummern und Gitarristen abzustimmen. Gespielt wird „T. N. T.“ von AC/DC, „das kommt wie eine Wand, alle machen dasselbe, welche Finger ihr nehmt, ist egal“. Das Stück ist einfach zu lernen und extrem geeignet zum Abbau von zu viel Testosteron. Spike ist beim Singen viel zu leise und unsicher. Aber das wird noch.