Der Raum im Erdgeschoss ist so schlicht eingerichtet, dass man beim Eintreten erst gar nicht kapiert, dass man sich schon mitten in der Ausstellung befindet. Dort eine Stange mit ein paar T-Shirts, da ein Tisch, vereinzelte Bildschirme und Holzkästen – das wirkt auf den ersten Blick eher wie ein minimalistischer Pop-up-Store. Doch genau das Simple wollen die Macher der Ausstellung, wie Gregor Sündermann, einer der Mitglieder des Vereins für Bildung und Partizipation, erklärt: „Jeder kennt das Wort Kapitalismus, aber kaum einer kann es erklären. Wir wollen den Besuchern das Thema leicht verständlich und barrierefrei nahebringen.“
Auf den zweiten Blick sieht man auch, dass viel mehr hinter der Ausstellung steckt als man im ersten Moment denkt: Auf der Kleiderstange hängen nicht etwa Merchandise-Artikel des Museums, sondern Kleidungsstücke mit Botschaften: Ein beschriftetes T-Shirt listet auf, wer wieviel Profit mit seiner Herstellung erwirtschaftet hat – die Näherin bekommt nur ein Prozent ab. Ein anderes Shirt zeigt, wie viele Kilometer, Wasser, Dünger und andere Gase in ihm stecken. Das Ziel ist es nicht, den Kapitalismus von vornherein zu verdammen, sondern ihn zu verstehen: „Ein Erkunden von dem was um uns ist, um zu begreifen, was es sein könnte“, so beschreibt sich das Museum selbst.
Jede der 27 Stationen ist interaktiv und lädt zum Mitmachen und Mitdenken ein. Schön ist vor allem die Mehrwertpumpe: Hier ist deine Arbeit das Wasserpumpen – ein kleines Rinnsal fließt in deine Tasse, ein breiter Bach ins Kapitalbecken des Unternehmers. Ist das ungerecht oder nur logisch? Außerdem gibt es eine Waage, auf der du mit unterschiedlich schweren Dosen auf der Seite von Arbeitnehmer und –geber die Machtpositionen ausgleichen kannst: Arbeitsverweigerung gegen Entlassung, Gewerkschaftsbildung gegen befristete Arbeitsverträge – wer kann sich am Ende durchsetzen? Politische Bildung ist eines der Hauptziele des Vereins und so sollen später sollen auch Schulklassenführungen, Lesungen und Vorträge im Museum für Kapitalismus stattfinden. Denn nachdem das Museum zuerst mit Wanderaustellungen von Bezirk zu Bezirk zog, kann es in diesem Haus, dessen Besitzer das Forum Kreuzberg ist, nun erst mal bleiben.
Wer ist der bessere Kapitalist?
Auch die Spiele sind eine gute Idee, um das abstrakte Modell Kapitalismus greifbar zu machen: Beim „Zwang zur Akkumulation“ müssen zwei Spieler als Unternehmer einander gegenüber so schnell wie möglich einen Turm aus Bauklötzen aufbauen, also sinnbildlich Kapital anhäufen. Bei der Person, die am schnellsten ist, leuchtet die Lampe auf und kürt ihn zum Gewinner. Bei einem Fragespiel mit Karten rückst du dein Steinchen bei jedem „Ja“ ein Feld nach vorne und siehst am Ende, wie privilegiert du bist. Sehr niedlich ist auch ein Kinderherd, an dem du entdecken kannst, wo unbezahlte Arbeit, sogenannte Reproduktionsarbeit drinnen steckt: Dazu zählen Kochen, Kinder- oder Altenbetreuung.
„Historisch war die Geschichte, die in und durch Museen geschrieben wurde, die Geschichte der Herrschenden“, steht auf der Website. Deswegen sollen die Besucher die Ausstellung auch mitbestimmen: indem sie sich selbst einbringen und beispielsweise alternative Gesellschaftsformen auf eine Berlin-Karte schreiben. Was mir auffällt: Wo sind die Alternativen, die utopischen oder realen Gegenentwürfe zum Kapitalismus? Gregor sagt, dass diese noch kommen, denn gerade sei die Ausstellung so frisch, dass noch nicht alles fertig sei. Sie würden aber keine allgemeingültige Struktur für ein Gesellschaftssystem vorschlagen wollen. „Die Zeiten der großen Gesellschaftsentwürfe sind vorbei“, sagt er. Jede Gruppe und jede Region hat die Freiheit, selbst zu bestimmen, wie sie sich organisieren will – ob bedingungsloses Grundeinkommen oder Volksentscheide, Möglichkeiten gäbe es viele.