Rathaus Neukölln – Neukölln ist in vielerlei Hinsicht Rekordhalter unter den Berliner Bezirken: Hier gibt es die meisten Arbeitslosen, aber auch die meisten Kinder. In der Kneipe sitzt der Hartzer neben dem Galeristen, während Hatice am Nebentisch mit Hannelore plauscht. Ein Bezirk – viele Gesichter. Wir haben uns die Karl-Marx-Straße mal herausgegriffen ...
PRO
Körnerpark
Er ist wohl sowas wie ein Schlossgarten im Kleinformat und ohne Schloss: der Körnerpark. Viele stolpern eher aus Versehen über das grüne Kleinod, das sich zwischen Karl-Marx- und Hermannstraße versteckt. Weiße Bänke werden hier von schicken Blumen und sattgrünem Rasen flankiert. Und das Tollste: Im schmucken Park bleibt es tatsächlich sauber und ordentlich. Im Vergleich zu anderen Berliner Grün-Oasen (man denke nur an den Görlitzer Park, in dem im Sommer die Kronkorken dem Rasen die Platzherrschaft auf dem Boden strittig machen) kann sich der Körnerpark durchaus sehen lassen. In den Sommermonaten gibt es hier kostenlose Konzertreihen, ganzjährig kann in der angeschlossenen Galerie Kunst bestaunt werden – und das sogar für umme.
Kunst im Kiez
Im Körnerkiez gibt es an 365 Tagen Kunst, neben vielen Aktionen im Körnerpark zum Beispiel auch im „kunstraum t27“ an der Thomasstraße. Und zu einem Termin geht es alljährlich besonders „arty“ rund um die Karl-Marx-Straße zu: Bei dem Kunst- und Kulturfestival „48 Stunden Neukölln“ gibt es die volle Packung Urban Art. Konzerte, Ausstellungen und temporäre Installationen sind zu bestaunen. Ein zentraler Anlaufpunkt für die Kunst-Jünger sind dabei in jedem Jahr die Neukölln-Arcaden, die auch von den Veranstaltern als offizielles Headquarter genannt werden.
Hertabrücke über der Ringbahn
Hertabrücke. (c)Wikipedia: Axel Mauruszat / CC-B4-3.0-de
Ok, wir verlassen die Karl-Marx-Straße jetzt mal ein paar hundert Meter. An der Hertabrücke, in der Nähe des S-Bahnhofs Neukölln, ist es einfach nur schön. Und im Vergleich zu den Berliner Brücken, die ein bisschen mehr „Fame“ haben – Stichwort Oberbaum- oder Admiralsbrücke – ist es hier auch einfach nur entspannt und unaufgeregt. Überm Kopf ranken sich imposante Stahlträger der Industrie-Look-Brücke, unter ihr verlaufen die breiten Gleis-Trassen der Ringbahn: Von der Ilsestraße kommend, schaut man zur rechten auf den S-Bahnhof Hermannstraße, zur Linken auf den Bahnhof Neukölln. Hier verweilt man gerne mal für eine Zigarettenlänge oder das eine oder andere Bierchen.
Die Mische macht’s
Nicht erst seit dem Bestseller vom Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky wissen wir, dass es mit der Integration im Problembezirk ein bisschen hapert. Teile Neuköllns werden vom Berliner Senat als „Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf“ geführt, von berlinweit 17 Gebieten dieser Art liegen alleine neun in Neukölln – darunter auch das Areal rund um den Körnerpark. Und trotzdem: Im Alltag erlebt man gerade im Körnerpark immer wieder positive Gegenbeispiele. Das extra hier eingerichtete Quartiersmanagement gibt sich große Mühe, die Menschen zusammenzubringen, im Park passiert das von ganz alleine. Jungs, die Schischa rauchen, sitzen hier neben Mädels, die selbstgemachte Buletten verdrücken.
Tolerante Nachbarn
Hier mal eine steile These: Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es gleichzeitig so skurrile und tolerante Nachbarn wie an der Karl-Marx-Straße. Das führt dazu, dass man öfter mal weit nach Mitternacht mit einem Klavierkonzert von den Herrschaften aus der zweiten Etage überrascht wird. Im Gegenzug allerdings beschwert sich auch niemand, wenn man selbst die Musik mal voll aufdreht. Mitten in der Nacht. Am Montag. Ohne kleinliche Meckerfritzen zu treffen, herrscht in Neukölln der Geist des „Leben und leben lassen“.
CONTRA
Assi-Läden
Würde man ein Ranking der asozialsten Straßen Berlins aufstellen, die ‚Krach‘-Marx-Straße wäre mit Sicherheit dabei. Hier reiht sich ein Billo-Schnäppchenladen an den nächsten, im Geiz-ist-Geil-Paradies kann man wahrscheinlich mehr Ramsch- und Glitzer-Glitzer FlipFlops kaufen, als es Einwohner in der Stadt gibt. Und das an JEDER Ecke. Wenn man dann vor lauter Billo-Bling-Bling-Shopping und den aufwendigen Ausweichmanövern (egal, ob Hipster oder Hartzer – auf den engen und mit Ramsch-Ware vollgeknallten Gehwegen sind alle auf Rempel-Kurs) Hunger verspürt, ist auch das kein Problem: Die Döner-Laden-Dichte könnte selbst im Döner-Himmel nicht größer sein.
Und andererseits ist da die Gentrifizierung: Wenn ein, zwei Bioläden oder auch die eine oder andere schöne Kneipe einen Ramschladen ersetzen, ist das ja noch ok – sogar wünschenswert. Wenn allerdings eine völlige Vereinnahmung einiger Wohnblocks durch ‚Künstler‘- und Studentenvolk dazu führt, dass die Mieten binnen kürzester Zeit ins Unermessliche steigen, dann ist das eher zum Kotzen. Und auch die „Ich-bin-mit-Easy-Jet-hergeflogen-und-muss-im hippen-NK-erstmal-ein-bisschen-freidrehen-Attitüde“ einiger Sauf-Touristen ist im wahrsten Sinne des Wortes das gleiche: zum Kotzen – aber bitte nicht in den eigenen Hauseingang.
Verwahrlosung
Jetzt wird nochmal in die soziale Kerbe reingehauen. Und dieses Mal auch nicht witzig und mit einem Augenzwinkern – sondern traurig und bedenklich. Denn wenn gegenüber der eigenen Wohnung seit über einem Jahr ein Obdachloser in einer Bank ‚wohnt‘ und zusehends verwahrlost, dann ist das kein gutes Zeichen. Nicht für den Bezirk, nicht für seine Menschen, nicht für Berlin, nicht für unsere Gesellschaft. Punkt.
Der Müll
Es ist ein Klischee, aber es ist wahr: Entlang der Karl-Marx-Straße und ganz besonders in den grüner werdenden Seitenstraßen, gibt es jede Menge Tretminen. In Form von Hundekacke. Das kann einem gewaltig stinken, besonders, wenn man nebst Hundehaufen auch noch alten Müllbergen ausweichen muss. Ein gut erhaltenes Regal zum Abholen an die Straße zu stellen, ist eine Sache. Mit alten Farbeimern und dem kompletten Hausmüll den Bürgersteig zu verstopfen (ein Dreck-Hot-Spot ist definitiv die eigentlich sehr schöne Thomasstraße), ist eine andere Sache.
In English, please
Multikulti und Touri-Boom hin oder her: In einem Laden sollte es wenigstens möglich sein, eine deutschsprachige Karte zu bekommen. Das geht in einigen Kneipen und Cafés auf der Richardstraße allerdings nicht. Dass man damit die angestammten und oft auch schon etwas älteren (und deshalb nicht selbstverständlich anglophilen) ‚Ur‘-Anwohner der Gegend rund um das Böhmische Dorf von vorne herein als Gast ausschließt – das is not so cool!
„Ich lebe gerne in Neukölln, mit der Karl-Marx-Straße pflege ich eine temperamentvolle Hass-Liebe. Vorher habe ich am Landwehrkanal gewohnt – das war zwar ruhiger, dafür aber auch viel schlechter angebunden.“
Schwarz oder bunt, abstrakt oder traditionell, klein oder groß? Für jedes Tattoo findest du in Berlin den oder die passende*n Tätowierer*in. Welches Studio für dich das richtige ist, liest du in unserer Top-Liste.
Echte Berliner*innen lassen es sich natürlich nicht anmerken, wenn sie Promis im Alltag erkennen. Dabei finden sie es voll cool, neben Kida Khodr Ramadan zu chillen oder mit Heike Makatsch auf eine Demo zu gehen. Willst du auch? Hier wohnen die Stars …