Der Blick von dem alten Mietshaus an der Bergstraße in Mitte ist unverbaut. Auf der anderen Straßenseite befindet sich einer von mehreren Friedhöfen. Eine Idylle mitten in der Großstadt. Drumherum hat sich die Stadt verändert. Die meisten Mietshäuser aus der Jahrhundertwende sind längst saniert. Wer die Gegend aus der Zeit nach dem Fall der Mauer kennt, erinnert sich an den Geruch der Kohleöfen, an Omas in Kittelschürzen und an lange Schlangen vor der legendären Ackerhalle kurz nach der Währungsumstellung. Bilder, die man heute nur noch in Bildbänden findet, wenn nicht eben dieses Haus an der Bergstraße gewesen wäre. Als eines der letzten Gebäude zogen alle Sanierungswellen an ihm vorüber – bis der neue Eigentümer auf die Idee kam, aus den Mietquartieren profitable Eigentumswohnungen zu machen. So etwas liest man jeden Tag in der Zeitung. Die Filmemacherin Katrin Rothe aber gibt dem Problem der Gentrifizierung ein Gesicht. In ihrem Film Betongold dokumentiert sie ihr das Schicksal einer Vertreibung.
An diesem Abend sitzt die Filmemacherin vor gut 30 zumeist älteren Lichtenbergern im Bürgerbüro des Abgeordneten Harald Wolf (DIE LINKE). Gemeinsam mit Katrin Lompscher, ebenfalls Abgeordnete, will er den Film „Betongold“ zeigen, den Katrin Rothe gedreht hat. Am Anfang ist nicht ganz klar, was das mit Lichtenberg zu tun hat. Später aber wird deutlich, dass der Bezirk Lichtenberg auch deshalb so viele Zuzüge vermeldet, weil viele Berliner ihre geliebten Wohnungen in Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain verlassen müssen. Sie können sie schlichtweg nicht mehr bezahlen.
Miete mehr als verdoppelt
Heute wohnt sie in einem Plattenbau in Prenzlauer Berg, ein Nachbar ist nach Lichtenberg gezogen. Im Film zeigt sie eindrucksvoll die Vertreibung aus dem unsanierten Haus. Da ist eine Maklerin zu sehen, die Kaufinteressenten durch das Haus führt. Da sind die Bauarbeiter, die keine Rücksicht auf die Sicherheit der Bewohner nehmen. Ein Mieterberater kommt zu Wort, der den Vermieter als unangenehm bezeichnet. Und dann ist da noch der Vermieter selbst, der allein mit einer Wohnung rund 520.000 Euro verdienen kann. Katrin Rothe und die übrigen Hausbewohner stehen diesem Vorhaben nur im Weg. Die sonst so redegewandte Frau wirkt am Ende ihres eigenen Films resigniert, ausgepowert, einfach fertig. Vor Gericht stimmt sie einem Vergleich zu, erhält 50.000 Euro und zieht verbittert aus.
Formal ist die Geschichte damit für Katrin Rothe beendet. Doch persönlich war das erst der Anfang einer Mission. Rothe ist jede Woche unterwegs, im Gespräch mit Menschen, die sie wachrütteln will. Das gelingt ihr auch an diesem Abend vor den älteren Menschen im Parteibüro. Entsetzt sind sie, als sie Rothes Geschichte hören, in den vielen Kommentaren ist die Empörung nicht zu verbergen.
Lichtenberg: neuer In-Bezirk von Berlin
„Da die Wohnungssituation in Berlin insgesamt immer angespannter ist, wächst der Druck auf die noch moderaten Mieten zusehends“, sagt sie. Deshalb müssten Bezirk und Senat mehr tun für den Schutz des preiswerten Wohnungsbestandes. „Das reicht von Milieuschutz für die aufwertungsbedrohten Altbaugebiete bis zum verstärkten Vorgehen gegen Zweckentfremdung und Mietpreisüberhöhung, von einer Einflussnahme auf Modernisierungsvorhaben bis zur Unterstützung von betroffenen Mietern, zum Beispiel durch eine offene Mieterberatung.“ Allerdings hat der Bezirk erst kürzlich den sogenannten Milieuschutz abgelehnt, zur Enttäuschung der Linkspartei. „Die Prüfung hat ergeben, dass das Instrument Milieuschutzverordnung in Lichtenberger Gebieten gegenwärtig keine erfolgreiche Anwendung finden kann“, heißt es dazu in einer Vorlage zur Kenntnisnahme, die im August in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht wird. Der Aufwand zur Erstellung von Milieuschutzverordnungen stehe in keinem Verhältnis zum Nutzen.
„Man muss sich fragen, ob Wohnungen, die bewohnt sind, überhaupt verkauft werden dürfen“, sagt Katrin Lompscher. Das sei aber eine Diskussion, die man nicht nur in Berlin, sondern bundesweit führen müsse. „Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist ein gigantisches Geschäft“, hat auch Lompschers Kollege Harald Wolf beobachtet. Er spricht gar von mafiösen Methoden und fordert, „dem Treiben radikal einen Riegel vorzuschieben“.
Für Katrin Rothe kommt dies alles zu spät. Was bleibt, ist eine bittere Erkenntnis. „Was eine Wohnung eigentlich ist, merkt man erst, wenn man sie verliert.“
Dieser Artikel wurde uns zur Verfügung gestellt von bezirks-journal.de