Berliner Persönlichkeiten zeigen ihren Kiez

Sebastian Krämer: Friedrichshain mit Stil

Sebastian Krämer ist im Friedrichshain zu Hause. Vom Zebrano Theater in der Lenbachstraße ausgehend erkunden wir seinen Kiez.
Sebastian Krämer ist im Friedrichshain zu Hause. Vom Zebrano Theater in der Lenbachstraße ausgehend erkunden wir seinen Kiez.
Boxhagener Kiez - Sebastian Krämer ist Musiker, Poet und Wahl-Friedrichshainer. Er ist mehrfacher Poetry-Slam-Champion, gehört der Lesebühne "Dienstagspropheten" an und hat seinen eigenen "Club Genie und Wahnsinn" gegründet. Wir sind mit dem Künstler und Familienvater spazieren gegangen.

Wir treffen uns in der Zebrano Bar. Braune Ledersessel, dunkle Wände, diese Mischung aus Vintage und Klasse passt ganz hervorragend zu unserem Gesprächspartner. Denn der Theaterleiter und Liedermacher ist stets adrett und mit Krawatte unterwegs. Was er am wenig schicken Friedrichshain findet? Wir machen uns auf den Weg vom Ostkreuz zum Boxhagener Platz.

Der Musiker, der kein Kabarettist sein möchte

Gerade steht Sebastian Krämer mit seinem 13. Album auf Deutschlands Bühnen. „Lieder wider besseres Wissen“ heißt diese Sammlung „romantischer Studien im Selbstversuch“, wie Krämer die Platte bezeichnet. Damit sei nicht das Amouröse, das Zwischenmenschliche gemeint, sondern tatsächlich die Epoche der Romantik, deren Literatur und Musik den Wahlberliner sehr geprägt habe. Deswegen geht es auch in den Texten darum „sich dem Verhängnis zu verschreiben und aufs Glatteis zu begeben“, so Krämer. Doch es gibt auch ein rein instrumentales Stück. Es unterstreicht einen Zwiespalt des studierten Musikwissenschaftlers und Philosophen: „Ich gebe Konzerte und die Leute verbuchen es unter Kabarett. Aber die Späße stehen nicht so sehr im Vordergrund, sondern die Songs.“

Diese Fehlinterpretation ist wohl Krämers ironischen und findigen Texten zuzuschreiben, aus denen oft auch Berlin klingt. Zum Beispiel wenn der Sänger anhand eines ehemaligen Videoverleihs in der Wühlischstraße das Aussterben von Videotheken in der Stadt beobachtet. Die lag „100 Schritte“ (so der Songtitel) entfernt von Krämers Haustür in der denkmalgeschützten Knorrpromenade. „Ich wollte ein Lied über eine Videothek schreiben, die mir zur Verfügung stand. Herausgekommen ist ein Video über den Kollaps der ganzen Kette.“

„Im Grunde ist Berlin mein Kiez“

Jetzt radelt der Filmfreund einen Kilometer weit zum nächsten Verleih. Mit dem Fahrrad macht er sich auch auf den Weg zum Kartoffelpufferimbiss am Hermannplatz oder in die Schöneberger Scheinbar. Dabei habe er nicht das Gefühl, von Kiez zu Kiez zu fahren. „In Berlin ist alles erreichbar, alles greifbar. Und der Unterschied ist ja nicht, ob man in Friedrichshain oder Zehlendorf ausgeht, sondern ob in Berlin oder in Frankfurt.“

Und doch fühle sich Krämer seinem Boxhagener Kiez ganz zugehörig. Nach Zwischenstationen im Zehlendorfer Studentenwohnheim und in Schöneberg war Friedrichshain der letzte Schritt: „Damals war es billig, da zog man hier her“, erklärt Krämer knapp. Die Veränderungen im Bezirk nimmt der Wahlberliner zwar wahr, aber auf die leichte Schulter: „Wenn was auf macht, freut man sich. Wenn was zu macht, ärgert man sich. Das Englische und die Kinder auf der Straße werden mehr. Aber ich hab gegen beides nichts.“

Allerdings hat der 39-Jährige etwas gegen die Straßenbahn, die bald durch die Sonntagstraße fahren soll: „Das muss ja nun nicht sein. Ich glaube, ich habe auch schon irgendwo unterschrieben, dass ich das nicht will.“ Von anderen Arbeiten im Zuge der Bahnhofsmodernisierung am Ostkreuz schwärmt er dagegen: „Ich finde das wahnsinnig spannend, was hier gebaut wird.“ Außerdem sei es der einzige S-Bahnhof, an dem man ebenerdig zur Bahn in Richtung Innenstadt käme. „Es gibt keine Treppe, also kann man auf der Straße sehen, dass die S-Bahn kommt, losrennen und ebenerdig einsteigen.“

„Geschmackvoll an der Grenze zur Geschmacklosigkeit“

Dann geht es die Sonntagstraße entlang. Auf dem Weg erfahren wir, dass Sebastian Krämer zwar kein Kneipentyp, aber auch kein Kostverächter ist. Nach den Vorstellungen im Zebrano Theater treffe man ihn zum Beispiel im Caminetto. Die unscheinbare Pizzeria gegenüber dem Annemirl-Bauer-Platz – auf dem Krämer ab und zu mit dem Nachwuchs Tischtennis spielt – habe neben der fantastischen Pizza Padana mit Birne und Gorgonzola auch „weinstampfende Grazien, von Hand auf die Wand gemalt“ zu bieten. „Geschmackvoll an der Grenze zur Geschmacklosigkeit“ nennt Krämer das besondere Ambiente.

Ein weiterer italienischer Tipp sei das Pastapresti in der Wühlischstraße. Dort kann man hausgemachte Bio-Pasta mit einzelnen Zutaten und Saucen kombinieren. Auch die gemischten Frühstücksplatten im russischen Datscha empfiehlt Krämer wärmstens. Bevor wir von der Wühlischstraße aus in die Knorrpromenade einbiegen werfen wir noch einen Blick auf eine „Feinbäckerei“ und den Laden „gingersboat„, der ökologische und fair gehandelte Produkte anbietet. So schicke Läden werden immer typischer für den Kiez, beobachtet Krämer. „So handgemachtes Zeug. Ich bin ja dafür, aber das hat schon seinen Preis.“

Und dann zeigt er uns zum Abschluss noch, „wo wir immer einkaufen. Damit auch alles schön fair trade und bio ist.“ Wir stehen vor der LPG. Krämer hat eine Mitgliederkarte, vor allem aber einen Draht zum Personal. „Ich möchte mal wieder eine Reporterin durch die heiligen Hallen führen“, kündigt der Stammkunde beim Eintreten an und man lässt uns lächelnd passieren. Hier steht ein Zitronenjoghurt im Regal, für dessen Aufnahme ins Sortiment sich Feinschmecker Krämer persönlich eingesetzt hat. Auch Unverpacktes zum Selbstabfüllen gebe es in dem Geschäft mit Tante Emma-Charme, erzählt er und dass das Bio-Gemüse überhaupt nicht so runzelig sei, wie viele von einem Bio-Laden immer denken.

Abseits des prallen Gemüses verabschieden wir den Musiker, der uns mit Schlips und Kragen vom Trave- in den Boxhagener Kiez geführt hat. Und obwohl mancher den stilsicheren Wortkünstler wohl eher in Schöneberg oder Zehlendorf vermutet hätte, passt er ganz hervorragend in diesen Kiez zwischen bröckelndem Putz und biologisch wertvollem Joghurt.

Vom 16. bis zum 20. Februar präsentiert Sebastian Krämer seine „Lieder wider besseres Wissen“ im Zebrano-Theater.

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