Lichterfelde Ost - Unsere Gastautorin Jutta Goedicke ist Herausgeberin des Kiezmagazins Ferdinandmarkt. Sie wohnt in Lankwitz, arbeitet in LichterfeldeOst und geht der Geschichte ihres Umfelds gerne auf den Grund - diesmal schreibt sie über die Entstehung der Carstenn'schen Villenkolonie.
Mitte des 19. Jahrhunderts gab es zwei natürliche Erhebungen östlich und westlich des morastigen Bäketales (heute Teltowkanal) von denen man einen weiten Blick ins Land hatte: Den Mühlenberg (Standort der Lichterfelder Mühle, heute Karwendelstraße) und eine Erhebung in Lichterfelde-Süd, die besonders den Blick zum Teltower See hin ermöglichte. Als Johann Anton Wilhelm von Carstenn (*12.12.1822) nach 1865 die Güter in Giesensdorf und Lichterfelde aufkaufte und allmählich für seine städtebaulichen Unternehmungen parzellierte, war das Land größtenteils unerschlossen, brach und wüst. Zu Beginn seiner Arbeiten ließ er zahlreiche polnische Arbeiter ins Land holen, die gleich 1866 mit erheblichem Aufwand begannen den Mühlenberg abzuflachen, der dem Bau der Drakestraße, als Anbindung an die Königschaussee nach Potsdam, im Weg stand.
Die Entstehung der Villenkolonie nach Carstenn
Carstenn hatte von seinen Ideen zur Gestaltung einer Villenkolonie genaue Vorstellungen, für deren Verwirklichung er den idealen Standort zwischen den beiden Bahnlinien der Potsdamer und Anhalter Bahn fand. Innerhalb Berlins wohnte man meist in Mietshäusern, in denen alle Gesellschaftsschichten in einer sozialen Durchmischung ihren Platz fanden:
Typischer Vorgarten in Lichterfelde-Ost (c)Jutta Goedicke
Im Erdgeschoss Gewerbe, Gast- oder Werkstätten, die Beletage im ersten Stock für die wohlhabenden Bürger, darüber in mehreren Stockwerken Wohnungen für Beamte und Angestellte und in den lichtarmen Kellern, Dächern, Seitenflügeln und Hinterhäusern enge Wohnungen für die Ärmsten. Das durch die Industrialisierung zunehmend vermögendere Bürgertum in Berlin sehnte sich nach frischer Luft, Natur und Beschaulichkeit und nach repräsentativem Wohnraum außerhalb der Großstadt. Um die Beständigkeit und den Stil seiner Visionen festzuschreiben, ließ Carstenn die städtebauliche Gesamtanlage seiner Kolonie vom Architekten und Städteplaner Johannes Otzen (*8.10.1839) planen. Außerdem legte Carstenn verschiedene Verpflichtungen in den Grundbucheinträgen seiner Parzellenkäufer fest, die die charakteristische Großzügigkeit der Planungen bis heute erkennen lässt: Die Häuser sollten als Landhäuser oder Villen gebaut werden mit höchstens zwei Stockwerken und einem bestimmten Abstand zum Nachbargrundstück. Die Bauflucht war auf zehn bis 24 Meter festgelegt und vor dem Haus musste ein Vorgarten angelegt werden. Für die Anlage der Straßen, Alleen und Plätze, die er nach geometrischen Gesetzen plante, setzte Carstenn sich selbst hohe Ansprüche. Eigens für die Verwirklichung dieser Ideale bestellte er bei der Baumschule Booth in Hamburg Nienstedten widerstandsfähige Eichen, Linden und Kastanien im Wert von 126.000 Mark. Anfängliche Experimente mit tropischen und subtropischen Bäumen und Sträuchern schlugen fehl, da die Pflanzen das Klima und den kargen Boden nicht vertrugen. Carstenn kannte John Cornelius Booth aus der gemeinsamen, erfolgreichen Arbeit an der Villenkolonie Marienthal in Hamburg-Wandsbek, mit deren Gewinnen er seine Investitionen in Lichterfelde und Giesensdorf finanzierte.
Gartentor mit stilisierten Linden- und Eichenblättern in der Boothstraße 20 (c)Jutta Goedicke
Die Verpflichtung zur umfangreichen Bepflanzung der Grundstücke zog schnell diverse Park- und Landschaftsgärtner, Sämereien und Baumschulen nach, die noch bis ins folgende Jahrhundert reichlich Arbeit fanden. Man lieferte Obstbäume, Flieder, Koniferen aber auch Gemüse- und Topfpflanzen. In einem Führer über Groß-Lichterfelde von 1901 inserierten allein sieben Gärtnereien darunter auch die Gärtnerei Thom aus der Brauerstraße, die heute noch in vierter Generation in der Hildburghauser Straße existiert. Erzählt wird, dass der Ur-Urgroßvater Gustav Thom mit dem Flugpionier Otto Lilienthal, der in der Boothstraße 17 wohnte, befreundet war und ihm oftmals dabei half, seine Fluggeräte auf den Fliegeberg zu schaffen.
Neben dem denkmalwerten Straßennetz mit seinen unverwüstlichen Pflastersteinen, den dichten Baumbeständen, Platzanlagen und Gasbeleuchtungen sind es Baudenkmäler und einige Gartendenkmäler, die in Lichterfelde herausragen und die hoffentlich noch lange den prosperierenden Wirtschaftsaufschwung Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts dokumentieren.
Jutta Goedicke ist nicht nur Herausgeberin und Chefredakteurin des Kiezmagazins Ferdinandmarkt, sie ist auch Besitzerin des Spielzeugladens Löwenzahn in Lichterfelde-Ost.