Am schönsten sind die riesigen Panoramafenster: Wenn das Licht durchs Glas aus dem vorstehenden Obergeschoss auf die Straße fällt, die Gäste reden und trinken, wird der Passant unwillkürlich einbezogen: Komm rein. Hier wird dir einiges geboten. Kino, so weit das Auge reicht. Aber auch gemütliche Sessel, kalte Getränke, heiße Gespräche, ehe man den Saal betritt. Da sitzen über 500 Leute unter einer geradezu fliegenden Stuckdecke, flankiert von hölzerner Wandverkleidung, und vor der Leinwand hängt ein glitzernder Paillettenvorhang. Wenn der zur Seite rauscht, dann bedeutet das: „Film ab!“. Das Spiel soll beginnen.
Anfang Juli 1966 hatten sich im Zuschauerraum inszenierte Szenen abgespielt, die an die dunkelsten Zeiten des Stalinismus erinnerten: In der zweiten Vorstellung nach der Premiere von „Spur der Steine“ begannen plötzlich „klassenbewußte Werktätige“, die Vorstellung zu stören. 95 Prozent der Besucher ertrugen die Zwischenrufe der von der Partei abkommandierten Claqueure („Das ist eine Verunglimpfung der Arbeiterklasse!“, „Aufhören!“ „So sind unsere Menschen nicht!“ „Den Regisseur müsste man einsperren!“), bis jemand wütend in den Saal rief: „Wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen Sie doch raus!“ Der Regisseur Frank Beyer blieb besonnen. Aber in ihm kochte es, selbst im dunklen Kino nahmen die in der Nähe Sitzenden wahr, wie sich sein Gesicht dunkelrot färbte. Es war eine pessimistische Tragödie. Der Film wurde verboten. Erst 23 Jahre später, am 23. November 1989, durfte Frank Beyer im International noch einmal den Premierenbeifall ohne Störung genießen.
Nach der Wende übernahm die Yorck-Kinogruppe das Kino International
Und wenn wir gerade bei Premieren sind: „Lotte in Weimar“ kam hier 1976 mit der Kutsche vorgefahren, Konrad Wolfs „Solo Sunny“ von 1980 sang sich in die Gefühle der 100 000 Zuschauer – es war der erfolgreichste Magnet für dieses Kino. Um seinem Namen gerecht zu werden, kamen hier auch vor der Wende internationale Streifen auf die Leinwand und füllten die Kasse: „Cabaret“, „Die verlorene Ehe der Katharina Blum“, „Jenseits von Afrika“ oder „Dirty Dancing“.
Dazu gehört die gute alte Sitte, für jeden Film ein Plakat von neun mal sechs Meter in einem Reinickendorfer Atelier malen zu lassen, das gibt es nur noch am Delphi, Cinema Paris und beim Filmtheater Friedrichshain. Traditionspflege nennt man das, freilich muss nicht alles erhalten werden. In einer der vorderen Reihen waren fünf Stühle ausgebaut, um der Staatsprominenz, wenn sie denn zu Premieren kam, etwas Beinfreiheit zu gewähren. Und seit 1994 sind die Sessel mit blauem Stoff bezogen – der Teppich für die Premierengäste ist nach wie vor rot.