Simpel: Der Titel ist ein absolutes Understatement, das ist schon nach den ersten Minuten des Films gewiss. Frederick Lau und David Kross ziehen uns sofort in den Bann eines Brüderpaars, das so ungleich und so liebenswert ist, dass Rain Man mit Dustin Hoffmann, Tom Cruise und den vier Oscars dagegen verblasst.
Eine herzergreifende Odyssee
Die Geschichte ist schnell zusammengefasst. Ben (Frederick Lau) kümmert sich seit er denken kann um seinen Bruder Barnabas (David Kross), der mit seinen 22 Jahren geistig auf dem Niveau eines vierjährigen Kindes ist. Als ihre Mutter plötzlich stirbt, soll Barnabas in ein Heim eingewiesen werden. Da Ben nicht die Vormundschaft über seinen Bruder bekommt, kann er nichts dagegen tun. Der einzige, der diesem Beschluss widersprechen könnte, ist ihr Vater, nur dass der sich schon vor Jahrzehnten aus dem Staub gemacht hat. Kaum begreift Barnabas, dass der Polizeibus ihn ohne Ben in ein neues Zuhause bringen soll, dreht er durch. Ben erträgt den Anblick des verzweifelten Bruders nicht und flieht mit ihm nach Hamburg. Dort begeben sie sich auf die Suche nach dem Vater. Eine turbulente Zeit beginnt…
Emotionale Komödie oder humorvolles Drama
Das Besondere an dem Film, der wie ein Roadmovie beginnt, wie eine Komödie mitreißt und dabei so ergreifend ist wie ein Drama, sind die Charaktere. Neben den Hauptfiguren Ben und Barnabas sind wirklich alle Rollen lebendig, vielschichtig und vor allem durch und durch glaubwürdig. Der Truckfahrer (Maxim Kovalevski), die Medizinstudentin (Emilia Schüle), der Sanitäter (Axel Stein): Was das Drehbuch an Dialogen und Situationen vorgibt, setzen die Schauspieler mit einer Präzision und Emotionalität um, dass es eine Freude ist, ihnen zuzusehen… selbst wenn uns dabei Tränen über die Wangen laufen. Vielleicht liegt das daran, dass sogar die kleinsten Nebenrollen hochkarätig besetzt sind. Anneke Kim Sarnau bleibt uns als Mutter trotz Kurzauftritt bestens in Erinnerung, Annette Frier als Prostituierte ist weit mehr als nur ein Gag-Geber.
Ein Must-See
Regisseur Markus Goller, der uns bei Friendship! noch erfolgsheischend und oberflächlich erschien statt konsequent, genau und feinfühlig, legt mit Simpel einen Film vor, an dem kein Kinozuschauer und Preisvergeber in diesem Jahr vorbeikommen sollte. Das ausgezeichnete Buch der Französin Marie-Aude Murail erhält durch die einfühlsame Regie und bedingungslose Schauspielarbeit eine würdige Umsetzung, die sich nicht scheut, sich sehr eigenständig zu behaupten. Oft haben wir uns gefragt, was bitte eine warmherzige Komödie sein soll… Jetzt wissen wir es! Oder wie Axel Stein es zusammenfasst: „Es ist eine schöne, herzzerreißende Geschichte, die auch zum Nachdenken anregt – dass man andere respektieren soll, so wie sie sind.“