Unterwegs im Kiez

Liegt Hollywood immer noch in Weißensee?

Der Kinosaal mit Bühne und flexibler Zuschauer-Tanzfläche.
Der Kinosaal mit Bühne und flexibler Zuschauer-Tanzfläche. Zur Foto-Galerie
Gustav-Adolf-Straße - Ein Geisterkiez, der wieder zum Leben erweckt werden soll und der Traum eines Künstler-Trios, das Investoren braucht. Ein Rundgang durch eine ganz besondere Gegend in Weißensee.

Kleine Service-Betriebe und ein paar Ingenieurbüros: Das Gebiet rund um die Gustav-Adolf-Straße ist wahrlich keine Flaniermeile. Einzig und allein kleine architektonische Schmuckstücke können sich sehen lassen: Eine Fülle von Stilen, eindrucksvolle Zeilen mit Backsteinbauten, Ornamente, Skulpturen, kleine Villen im Heimatstil. Dagegen säumen nur wenige kleine Geschäfte wie Kneipen, Bäckereien und Apotheken die Straßen. Oft schaut man auf leere Schaufenster. Auf Plakaten wird nach neuen Betreibern gesucht. Teilweise versperren Baustellen den Fußweg.

Der Kiez weitab von der Berliner Allee scheint ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Läuft man durch die Gassen, kann man schwer erahnen, wie belebt die Gegend einst in den 20er und 30er Jahren war. Einst wurden in den Weißenseer Filmstudios zahlreiche Filme produziert: Der bekannteste ist sicherlich „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Zahlreiche Produktionsfirmen verlegten ihren Sitz nach Weißensee. Von einem kulturellen Hot-Spot kann man heute nicht mehr reden. Die Suche nach „Klein Hollywood“ scheint vergeblich –  rund um die Gustav-Adolf-Straße ist vielmehr ein kleiner Geisterkiez entstanden.

Viel kulturelles Potenzial

Dabei hat gerade dieser Kiez das Zeug zur Kunstmagistrale und kann wieder zu altem Ruhm gelangen, sind sich Kiezbewohner und Gewerbetreibende sicher. Sie wollen etwas an der aktuellen Lage ändern. Der Grund: In den Gassen des Gustav-Adolf-Kiezes schlummert viel künstlerisches Potenzial: das Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik, das Kino Toni am Antonplatz, Kunsthochschulen, die Freie Musikschule, die Opernakademie Berlin und auch die Volksbühne haben hier ihre Werkstätten und Räumlichkeiten.

Das Projekt von Nikolaus Schneider, Johannes Wille und Brina Stinehelfer schließt sich dem an. Das Künstler-Trio ist Betreiber des ehemaligen Stummfilmkinos Delphi in der Gustav-Adolf-Straße. Sie wollen dem fast vergessenen Juwel der Stadt wieder neues Leben einhauen. „Hier soll ein Kulturort geschaffen werden, in dem alles – von Film über Theater, Tanz, Oper und Kabarett bis hin zu Burlesque –  zu Hause ist.“ Eine „freie Theaterszene“ soll sich entwickeln, die sich – zwar nicht ausschließlich – aber zum größten Teil an den Stil der 20er Jahre anlehnt. Denn „der Charme, die Ästhetik, der Stil und vor allem die Energie der Räumlichkeiten des Delphis fordern, dass man mit dem Raum arbeitet“, meint Brina Stinehelfer.

Das Delphi ist ein Überbleibsel aus der expressionistischen Stummfilmzeit in Weißensee und heute ein verwitterter Bau, bei dem man durch den ersten Blick auf die äußere Fassade nicht vermuten würde, dass sich hier einst Berliner Filmgeschichte abgespielt hat. Betritt man allerdings den altehrwürdigen Zuschauerraum, erstaunt sein guter Zustand ebenso wie die Tatsache, dass hier seit der Eröffnung des Hauses im Jahr 1929 kaum bauliche Veränderungen stattgefunden haben. Eine Örtlichkeit, wie sie in der damaligen Zeit eben war – ausgestattet wie noble Theater und Opernhäuser, die Platz für mehr als 1.000 Besucher boten. Es gibt immer noch die Bühne, auf der die Leinwand stand, und einen Orchestergraben, der Musikern zur Filmbegleitung Platz bot. Die Akustik ist außergewöhnlich gut. Die Stuhlreihen im Raum selber gibt es nicht mehr – dafür stehen hier nun wie in einem Lokal Tische und Stühle, die es ermöglichen, schnell und flexibel eine Tanzfläche aus dem Bereich zu zaubern. Hier könnten Besucher gleichzeitig Theaterstücke und Filme genießen und dabei ein Gläschen Wein trinken oder nur zu 20er Jahre-Rhythmen auf eigens dafür organisierten Veranstaltungen swingen.

Investoren gesucht

„Es ist noch viel Traum dabei“, meint Theatermacher Nikolaus Schneider während des Rundgangs durch die Räumlichkeiten. „Wir müssen in der Realität schauen, was wir daraus machen. Was bisher funktioniert, sind kleine Veranstaltungen, die wir bisher realisieren konnten. Bälle und Tanzveranstaltungen im Stil der 20er – da braucht man nicht viel machen, denn der Raum lebt es einfach vor.“ Brina Stinehelfer betont, dass es nicht nur die Idee ist, das Kino und Theater weiter zu entwickeln, „sondern die ganze Weißenseer Spitze einzubeziehen – damit hier nicht nur das Delphi ist“. „Das ist keine Black Box“, also kein Standardplan, denn die drei Künstler sind auf der Suche nach Leuten mit besonderen Kunstprojekten, die auch mit dem Raum und seiner besonderen Atmosphäre zusammen arbeiten können.

Die volle Nutzung des Gebäudes scheitert vor allem an der Sanierung und and der damit verbundenen Finanzierung. Als die Künstler das Gebäude das erste Mal betraten, fanden sie nichts außer einem kalten nackten Saal ohne Heizung vor. Ganz dringend muss ein Schallschutz her. „So schön wie unsere Nachbarn unser Vorhaben auch finden“, meint Nikolaus Schneider, „auf Dauer wollen und können wir ihnen das nicht zumuten. Wir sind extrem dankbar dafür, wie uns die Nachbarn aufgenommen haben, aber wir wissen auch, dass das hier kein Dauerzustand ist.“ Und so suchen die drei von „Per Aspera Productions“ händeringend nach Investoren, die helfen, das Projekt voranzutreiben und ihre Vorhaben umzusetzen.

Gemeinsam mit Einzelhändlern aus dem Kiez arbeiten sie in einer Initiative daran, dass die Gegend zwischen Kunsthochschule und Gustav-Adolf-Straße wieder auflebt. „Das ist hier eine tote Ecke und es passiert derzeit nichts. Was her muss, sind neben Theater und Kino auch Restaurants und Bars. Das Ganze soll wieder zu Leben kommen, das Potenzial ist da“, meint Nikolaus Schneider.  „Doch alleine schaffen wir das nicht, sondern nur in Gemeinschaftsarbeit, wir können das Katapult sein und müssen uns kulturell gegenseitig befruchten.“ Klein-Hollywood muss wieder auferstehen.


Mehr Informationen findest du hier.

Foto Galerie

Stummfilmkino Delphi, Gustav-Adolf-Straße 2, 13086 Berlin

Weitere Artikel zum Thema

Cafés
Süßes Café in Weißensee gesucht?
Komponistenviertel - Weil die Weißenseerin Nastassia Seidenstücker keine Lust mehr hatte, für einen Cappuccino und […]