Nach der ersten Woche Morgensendung im Radio bin ich komplett erschöpft. Müde, aber glücklich. Natürlich komme ich gerade in der Anfangszeit nicht zur Ruhe. Neues Team, neuer Arbeitsplatz, neue Verantwortung, ich muss so viel lernen und immer hundertprozentig fokussieren auf das, was im Moment passiert. Wenn ich abends ins Bett gehe, brauche ich mindestens anderthalb Horrorfilme (ja, die entspannen mich wirklich), um einzuschlafen.
Die Mitte finden
Wir stehen vor dem Tor. Das Haus steht auf einer Art Berg, auf den gefühlt fünfhundert Stufen führen. Die Kulisse sieht original aus wie der Schauplatz aus Kung Fu Panda!
Ich habe Bedenken, dass wir überhaupt noch mitmachen dürfen, weil wir zu spät sind. Wir öffnen, außer Atem, die Eingangstür. Das Erste, das ich mit Entsetzen feststelle, ist, dass ich meine Schuhe ausziehen muss. Das mag ich wirklich überhaupt nicht. Dachte ich mir aber fast und habe deshalb in weiser Voraussicht vorher ausnahmsweise darauf geachtet, dass ich passende Socken trage. Wir stehen im Flur und schauen uns um. Auf einem Tisch stehen goldene Buddha-Figuren, farbenfrohe Bilder und Teelichter. Ansonsten könnte dies aber auch ein ganz normales, etwas alternatives Mehr-Generationen-Wohnhaus sein. Etwas verloren warten wir auf einen Gastgeber. Es kommt niemand. Wir schleichen schüchtern über den Flur und sehen in einer großen Küche einen Mann, ich tippe er kommt aus Indien, der Tee trinkt und uns zu sich winkt. Wir setzen uns an einen großen Holztisch, der mit unendlich vielen Sorten Frühstücksmarmelade und Weintrauben gedeckt ist. Ob wir grünen oder schwarzen Tee haben möchten, fragt er. Grün gerne. „Sind wir denn die Einzigen?“, frage ich. „Einer sitzt noch im Tempel, glaube ich.“ antwortet er. Hinter uns huscht eine feengleiche junge Frau durch den Flur, die uns freundlich anlächelt. Der Mann mit dem Tee stellt sich als Tissa vor und erzählt, dass das Haus rund um die Uhr geöffnet sei. Wir seien immer herzlich willkommen, um uns der Meditation zu widmen. Er erzählt von Aufmerksamkeit.
Die Stille im Kopf ertragen
Der Tempel ist direkt mit dem Haus verbunden. Wieder fühle ich mich wie in einer Kulisse von Kung Fu Panda. Große Perserteppiche auf dem Boden, am Ende des großen, aber gemütlichen und lichtgedimmten Raumes steht eine Art Altar. Auf dem Boden sitzt ein Herr mit grauem langen Bart und Dutt. Seine Augen sind geschlossen, er stört sich nicht an uns. Tissa deutet mir, mich auf eine Bank zu setzen und mich vorher in eine Decke zu wickeln. Und ich solle nur atmen. Und meinen Atem beobachten. Ich setze mich und schließe die Augen. Beginne zu atmen. Die Bank ist hart. Draußen regnet es. Ich höre es platschen. Ich gehe gedanklich, wie Tissa es mir vorher noch gesagt hat, zurück zu meinem Atem. Gedanken könne man nicht mit Gedanken vertreiben, ich solle einfach, wenn ich anfange abzuschweifen, zurück zur Atmung gehen und beobachten. Mir wird kalt. Ich hätte was Wärmeres anziehen sollen. Aber ich habe eh nicht so viele Winterklamotten im Schrank. Ich sollte mal ausmisten. Zurück zum Atem. Was wäre eigentlich, wenn ich einfach aufhören würde zu atmen? Ich kriege eine leichte Panikattacke. Ich habe Angst, dass ich von der Bank falle. Ich kann mich ab dem Moment nicht mehr eine Sekunde auf den Atem konzentrieren. Ich denke an Einkaufslisten, an meine beste Freundin, an meinen Hund, an mein Bett, an meine Oma, an meinen Fön (warum auch immer) und stelle fest, dass mein Kopf keine Stille ertragen kann. Nach einer halben Stunde fühle ich mich, als hätte jemand mein Hirn zusammengedrückt. Und ein bisschen so, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Tissa sagt, es sei nicht schlimm, dass ich mich so fühle. Das wird besser. Ich bin nicht sehr zufrieden mit mir und meiner fehlenden Fähigkeit, den Verstand auszuknipsen. Da sage noch mal einer, in einem blonden Kopf stecke nur Luft. Schön wärs!
Ich werfe meine Spende in die Spendenbox und verabschiede mich von Tissa. Nachdenklich fahre ich nach Hause. Ich muss vielleicht wirklich einfach lernen, besser zu entspannen. Das Karussell mal zu stoppen zwischendurch. Auf meinen Atem zu achten. Achtsamer zu werden.
In dieser Nacht übrigens habe ich so gut und tief geschlafen, wie lange nicht mehr. Ganz ohne Horrorfilme. Bingo.