Johannisstraße - Gerlinde Jänicke ist Morgenmoderatorin bei 94,3 rs2. In ihrer Kolumne auf QIEZ.de verrät sie euch jede Woche exklusiv ihre liebsten Orte, besondere Events und noch jede Menge mehr. Diese Woche geht's an einen sehr szenigen Ort in Mitte.
Ich bin etwa so hip wie eine Seniorenfahrt an die Mosel. Ich weiß nicht, was die angesagten Klamottenmarken sind, wo man im Friedrichshain um welche Uhrzeit welches Getränk trinkt und welcher gehypte Underground-Künstler in welcher Galerie ausstellt. Und das in einer Stadt wie Berlin. Vielleicht liegt das daran, dass ich als Ur-Berlinerin einfach nie am Puls der Zeit war. Ich lebe eben hier seit vierzig Jahren so rum. Es ist wirklich absoluter Zufall, wenn ich mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin, zusammen mit all den Bloggern und Trendsettern und sehr, sehr dünnen Models, die irgendwie sonst nie da sind, wo ich gerade bin. Ich fühle mich dann aber auch sehr fremd in meiner eigenen Stadt und wünsche mich an Hasis Futterluke um ne schöne Bocki zu knautschen und ne Molle zu zischen. Also Wurst und Bier am Imbiss mag ich sowieso lieber, soll das heißen.
Nun ist es also passiert. Ich war einmal kurz sehr, sehr hip. Und es hat mir verdammt gut gefallen. Das House of Small Wonder ist eines der hübschesten Cafés, in denen ich vielleicht jemals gewesen bin. Eine grünbepflanzte Wendeltreppe führt in den kleinen, aber so einladenden, lichtdurchfluteten Raum. Mein Hobbyfotografenherz schlägt schneller. Und das der Profis offenbar auch. An einem der Holztische sitzt eine sehr schöne, junge Frau mit langem, blonden Haar und Männerhut, die gelangweilt an einem Strohhalm kaut und in die Ferne blickt. Das Café als perfekte Kulisse für ein Fotoshooting, bestimmt für ein Magazin. Eine süße, kleine Asiatin führt mich und meine liebe Assistentin und Freundin Anika an einen Tisch in der Ecke, mit bestem Blick aufs Geschehen. Ich sehe Männer mit weißen Halstüchern und Vollbart. Das scheint tatsächlich gerade schwer en vogue zu sein. Glattrasiert ist zumindest niemand.
Alle Frauen hier sehen ähnlich aus. Out of bed-hair look, wenig Schminke und fast alle erschreckend untergewichtig. Ich werde diese Disziplin, kaum zu essen, nie verstehen. In diesem Sinne bestelle ich ein Sandwich mit Avocado und Ei und eine Maissuppe. Würde ich mich nicht wie ein Elefant im Porzellanladen fühlen, hätte ich wahrscheinlich drei davon bestellt. Wir sind mit Shaul Margulies verabredet. Zusammen mit seiner Frau Motoko Watanbe führt er den Laden, der schon in New York ein absoluter Erfolg war und ist. Ähnlich ist das Konzept auch hier, eine Mischung aus amerikanischer und japanischer Küche. Shaul ist extrem sympathisch. Aber sehr leise. Ich genieße es, Englisch zu sprechen, muss aber trotzdem immer wieder nachfragen. Er flüstert, wirkt fast schüchtern. Himmlisch schön ist es hier. Unglaublich stilvoll eingerichtet, liebevoller Service und trotz des Betriebes ist es fast so still und entspannend wie in einer Bücherei.
Ich will wissen, wieso der Laden so brummt, obwohl ich nie etwas über ihn gelesen habe. Shaul fragt, wie ich denn dann von ihm weiß. Touché. Tatsächlich hat eine Facebook-Freundin aus der Modebranche vor kurzem ein Bild geposted mit den Worten: „Neuer Lieblingsort.“ Und ich fand den Namen des Cafés so hübsch, dass ich das unbedingt mal ausprobieren musste. Also Mundpropaganda. „Am Wochenende ist hier die Hölle los,“ sagt er. „Da stehen die Leute an. Verrückt. Also wenn man herkommt und einen Platz findet, ist es ein toller Ort, um ein Sandwich zu essen. Aber wenn man extra lange ansteht ist es Quatsch. Es ist nur ein Sandwich. Warum sollte man sich dafür die Beine in den Bauch stehen.“ Süß, der Shaul. Wenn ich was weiß, dann, dass in Berlin jeder anstehen will für Dinge, die gerade angesagt sind. Im Keller des Cafés entsteht gerade ein japanisches Restaurant. Wir dürfen uns die Baustelle anschauen. Ich glaube, dass das Restaurant gut laufen wird, vielleicht so gut, dass ich es erst in ein oder zwei Monaten testen möchte, wenn ich nicht mehr anstehen muss. Ich bin eben wirklich nicht hip genug. Ich bin ein Berliner. Mit ein bisschen Großstadterfahrung.