Das hätte uns mal jemand sagen sollen, damals zu Mauerzeiten: dass West-Berlin immer größer und bedeutender wird, je länger es tot ist. Dann hätten wir uns vielleicht ein Stück Nuss-Sahne aus dem Café Senst eingefroren, hätten ein Autogramm von Sigrid Kressmann-Zschach besorgt und im Schöneberger Hausflur gewartet, bis David Bowie reingewankt wäre. Hätten. Denn nun ist das ja alles viel zu lange her, und damals konnten wir auch beim besten Willen nicht wissen, dass all der Kram um uns herum nun zur Manifestation einer bedeutenden historischen Epoche erhoben werden würde.
Juhnke, Mira, Pfitzmann, Knef – die haben schon damals genervt
Rainald Grebe hat jetzt an der Schaubühne gleich eine Nummernrevue draus gemacht – vermutlich der richtige Weg, die Klischees des Halbstadt-Lebens endlich zu Tode zu amüsieren. Lustig! Der Juhnke und die Mira, der Pfitzmann und die Knef, alle tot – aber ehrlich: Haben die nicht auch schon damals furchtbar genervt? Christiane F. und die Linie 1, Gott ja, West-Berlin hatte auch ein Bahnhofsviertel, und es kam haufenweise Heroin rein, vielleicht war’s die Stasi? Man möchte das alles gar nicht mehr so genau wissen, das ist so, als würden sie zum runden Geburtstag die doofsten Kinderfotos zeigen, als würde sich das Leben scheinbar nur um Sahnetorten und Pappnasen drehen.
In Britzbuckowrudow wundert man sich nur, was man alles erlebt haben soll
Aber sonst? Reinickendorf, Spandau, Tempelhof, Britzbuckowrudow? Sind eigentlich der bürgerliche Kern West-Berlins, fallen aber regelmäßig unter den Tisch, wenn sich wieder mal jemand mit Nostalgie besäuft. Da wohnen Leute, die sich immer nur wundern, wenn sie hören, was sie angeblich alles erlebt haben sollen vor 1989. Kommt ein Architekt und verspricht ein Haus in Charlottenburg, dann wird er sofort zum Retter der West-City und ihrer heimlich mitschwingenden Geschichte stilisiert; baut er was in Wedding, merkt das überhaupt niemand.
Aber Neubauten tun gar nichts. Sie stehen einfach nur so da und sind Teil des Wandels, der erst Ost- und dann West-Berlin unter sich begraben hat. Und damit sollte es nun langsam auch gut sein. Sonst fangen wir mit dieser Leier bei jedem runden Jubiläum wieder von vorn an.