Alltagsheld*innen

Kinderkrankenschwester Ronja S.: "Ich fühle mich allein gelassen und überfordert."

Krankenschwester mit Mundschutz
Die Zustände für Pflegekräfte in Krankenhäusern sind derzeit mehr als schwierig ...
Extremer Druck, fehlende Schutzkleidung und Hautprobleme. Das ist nur ein kleiner Teil der Auswirkungen, die durch die Corona-Krise für Krankenhausmitarbeiter*innen entstehen. Im Interview erzählt uns Kinderkrankenschwester Ronja S., wie es ihr damit geht...

Die aktuelle Situation zeigt auf, was Pflegekräfte und Ärtz*innen schon seit Jahren zurecht fordern. Mehr Personal, bessere Bezahlung, Aufrüstung der Ausstattung. Laut Prognosen des Deutschen Krankenhaus Instituts werden schon 2030 über 187.000 zusätzliche Pflegevollkräfte gebraucht. Die grundsätzliche Aufstockung des Personalschlüssel ist hier noch nicht eingerechnet. Wir haben mit der Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin Ronja S.* über ihre Arbeit und die aktuellen Zustände in einem Berliner Krankenhaus gesprochen.

QIEZ: Wer bist du? Was machst du?

„Ich bin Ronja, 25 Jahre alt, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf einer Berliner Intensivstation und bereits seit meinem 16. Lebensjahr in der Pflege tätig.“

Wie hast du die vergangenen Wochen erlebt?

„In den letzten Wochen habe ich deutlich gespürt, wie die Anspannung bei mir in der Klinik gestiegen ist. Wir erhalten jeden Tag neue Informationen und Anweisungen von unser Klinikleitung. Zu Beginn waren die noch gut zu realisieren, mittlerweile stehen wir als Team schon jetzt vor großen Problemen. Das beginnt schon beim Abstand halten. Es ist einfach nicht möglich. Deshalb kämpfen wir seit Jahren um räumliche Erweiterungen unserer Station, nicht erst seit Corona. Die Patient*innenzimmer und unser Dienstzimmer sind viel zu klein. Für große Übergaben und Visiten müssen wir im Normalfall bereits andere Arbeitsräume nutzen. Wir arbeiten im Team auf engstem Raum zusammen und müssen oft improvisieren, um die kleinen Patient*innen adäquat versorgen zu können.“

Wie hat sich dein Arbeitsalltag sonst verändert?

„Wir aus der Kinderkrankenpflege werden aktuell auf der Erwachsenenintensivstation eingewiesen, um die Kolleg*innen dort zu unterstützen. Selbstverständlich möchten wir einander helfen. Wir müssen jetzt zusammen halten. Aber was passiert mit den Kindern auf unserer Station? Natürlich stellt uns das Virus vor neue Herausforderungen, allerdings muss der Gesellschaft bewusst werden, dass andere schwere Erkrankungen in dieser Zeit keine Pause machen. Ich spreche von Schlaganfällen, Verkehrsunfällen, schweren Sepsen und vielem mehr, die nicht von Corona ausgelöst werden. Auch diese Patient*innen, ob groß oder klein, müssen versorgt werden.“

Was bereitet dir am meisten Sorgen?

„Wir stehen schon jetzt unter extremem Druck, weil wir nicht wissen, was in den nächsten Wochen auf uns zu kommt. Aktuell werden im Erwachsenenbereich Intensivbettenplätze freigegeben, die vorher aufgrund des Personalmangels gesperrt waren. Die Frage die wir uns jeden Tag stellen: Wer soll diese Patient*innen versorgen? Da wir uns selbst nicht richtig schützen können, werden sich über kurz oder lang viele Pflegekräfte und Ärzt*innen selbst infizieren. Ob und wann wir überhaupt getestet werden, ist eine andere Frage. Denn solange wir keine eindeutigen Symptome des Virus aufweisen, müssen wir arbeiten gehen. So auch ein Arzt aus meinem Team, der direkten Körperkontakt mit einem infizierten Kind und dessen Vater hatte. Er wurde bis heute weder getestet noch musste er in Quarantäne. Denn neben einem Pflegekräftemangel haben wir auch einen Mangel an Ärzt*innen.“

 

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Ein Beitrag geteilt von Katrin Junker (@_ki.yo.ra_) am Mär 30, 2020 um 6:11 PDT

Wie hat sich das Patientenverhältnis verändert?

„Das Verhältnis zu den Kindern hat sich nicht geändert. Allerdings haben wir unsere Besuchsregelung extrem verschärft. Es dürfen nur noch die Mütter zu den Kindern. Geschwisterkinder, Väter und Großeltern dürfen die Kleinen nicht besuchen. Das dient zum einen zu unserem Schutz zum anderen zum Schutz der Kinder und der anderen Mütter. Da die Kinder bei uns zum Teil schwer krank sind und um ihr Leben kämpfen, ist das für die Familien eine unfassbar dramatische Situation. Es ist neben der Versorgung der Patient*innen nun auch unsere Aufgabe noch mehr als sonst für die Mütter dazu sein. Dafür sind unsere Rettungsstellen aktuell ziemlich leer. Es macht den Anschein, dass Patient*innen wirklich nur noch im Notfall die Rettungsstellen aufsuchen. Vorher haben die Kolleg*innen vor Ort viele Patient*innen versorgt, bei denen ein Besuch bei ihrem oder seinem Hausarzt oder Hausärztin gereicht hätte. Ich finde es traurig, dass für diese Einsicht eine Pandemie nötig war.“

Kannst du die Anspannung und Panik nachvollziehen?

„Ja, zum Teil kann ich das sehr gut verstehen. Allerdings hat die Panik dazu geführt, dass wir in den Kliniken aktuell massive Materialengpässe haben. Viele Privathaushalte haben sich mit den Schutzmaterialien eingedeckt, die uns nun akut fehlen. Deshalb sind wir dazu angehalten den ganzen Dienst (in der Regel 8 Stunden) einen einzigen Mundschutz zu tragen. Das ist problematisch, da die Schutzfunktion nach nur 20 Minuten nicht mehr gewährleistet ist. Von Wunden Stellen und Hautproblemen ganz zu schweigen. Ich frage mich wie es werden soll, wenn die Fälle weiter zunehmen. Wir riskieren unsere Gesundheit jeden Tag, auch schon ohne Corona. Und jetzt sollen wir alles auf unseren Schultern austragen ohne uns dabei schützen zu können? Ich habe große Sorge selber Trägerin des Virus zu sein und die Kinder anzustecken. Das Desinfektionsmittel wird momentan von unserer Apotheke selbst angemischt. Meine Kolleg*innen und ich haben auch dadurch starke Hautprobleme entwickelt. Fraglich ist auch, ob es die selbe Wirkung hat wie industriell hergestelltes Desinfektionsmittel.“

 

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Ein Beitrag geteilt von Amy Vermillion Interiors (@amyvermillioninteriors) am Mär 22, 2020 um 12:28 PDT

Was macht diese Situation mit dir? 

„Ich fühle mich allein gelassen und schon jetzt überfordert. Zwar geht es natürlich nicht um unsere Befindlichkeiten, sondern um das Leben von Kindern und Erwachsenen und wir sind in unserem Job viel Stress und Notfälle gewöhnt und können damit auch umgehen. Nur woher sollen wir unsere Kraft ziehen, wenn wir nicht mal unsere Familie und Freund*innen sehen dürfen? Jeder muss seine Speicher auffüllen um 100% geben zu können. Ich denke, wir werden in den nächsten Monaten noch mehr Kolleg*innen haben, die nicht mehr arbeitsfähig sind, da sie ausgebrannt sein werden.“

Was forderst du für den Beruf der Pflege?

„Wir brauchen mehr Personal, mehr Schutzkleidung und es sollte sich auf politischer Ebene Gedanken gemacht werden, wie man systemrelevante Berufe langfristig gut bezahlt. Es macht mich unfassbar wütend, dass wir erst jetzt von der Gesellschaft gesehen werden. Wir haben schon vor Corona täglich um Menschenleben gekämpft. Es ist eine absolute Frechheit unter welchen Bedingungen wir nun die Fehler der Politik ausbügeln müssen. Dazu kommt die unzureichende Bezahlung. Auch in den Köpfen der Gesellschaft muss sich dringend etwas ändern. Berufe, die zur Erfüllung von Grundbedürfnissen beitragen, dürfen nach der Krise nicht wieder als selbstverständlich angesehen werden. Denn ich glaube jede*r möchte im Notfall medizinisch gut versorgt werden oder jeden Abend satt ins Bett gehen. Das klappt aber nur dann, wenn es genug Menschen gibt, die diese Berufe ausüben und vor allem gerne ausüben. Da hilft uns auch kein Klatschen. Wir verdienen dafür grundsätzlich Respekt, Anerkennung und ein vernünftiges Gehalt.“ 

Dankeschön für das Gespräch!

*Name von der Redaktion geändert

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