Angeblich ist es ja immer schwer, seinen Kiez zu verlassen. Ich kann das nicht so ganz bestätigen: Als ich vor mehr als zehn Jahren von der Warschauer Straße in den Wrangelkiez gezogen bin, war ich erleichtert. In Friedrichshain habe ich mich nie wirklich heimisch gefühlt, der Simon-Dach-Kiez war mir sowieso zu trubelig. Am Schlesischen Tor war dann alles viel schöner, ein paar Jahre später entwickelte sich die Ecke jedoch auch zum weniger charmanten Partykiez. Als sich 2011 die Möglichkeit ergab, in eine WG im Bergmannkiez zu ziehen, habe ich mich also wieder ohne Abschiedsschmerz auf eine neue Ecke gefreut – denn die war zufällig schon immer mein absoluter Lieblingskiez in Berlin.
Zwar hat sich seitdem auch in Kreuzberg 61 viel verändert, würde es nach mir gehen, würde ich jedoch für immer hier bleiben. Doch die Lebensumstände verändern sich, eine eigene Wohnung musste her. Nach knapp zwei Jahren Suche bleibt mir nichts anderes übrig, als pragmatisch zu sein. Für eine erschwingliche Wohnung im Bergmannkiez bin ich einfach zu spät dran, jetzt werde ich ihn verlassen müssen. Dieses Mal mit richtig viel Abschiedsschmerz. Das alles wird mir besonders fehlen:
Marheinekeplatz
Im Sommer die beste Terrasse überhaupt. Tagsüber kann man am Wochenende über den Flohmarkt stöbern, sich abends mit Freunden auf dem Platz treffen, einen Wein vom Weinladen nebenan oder aus der Markthalle holen und den Feierabend ausklingen lassen. Irgendjemanden trifft man hier meistens noch zufällig. Für mich war der Marheinekeplatz immer der schönste Kiez-Treffpunkt.
Marheineke-Markthalle
Vom Obst- und Gemüsehändler über den einfachen Bäcker, die Schneiderei und einen gut sortierten Buchladen bis zur italienischen Feinkost bekommt man hier einfach alles. Man kann ausgefallene Käsesorten bei Knippenbergs probieren und für Geburtstage schnell noch einen schönen Blumenstrauß kaufen. Nach dem Einkauf macht es besonders viel Spaß, sich beim Franzosen Le Bretagne ans Fenster zu setzen, einen Cappuccino und das leckerste Pain au chocolat Berlins zu bestellen und durch die Scheibe das bunte Treiben draußen zu beobachten.
Videodrom
Ja, in Zeiten von Netflix und Co sind Videotheken nicht mehr wirklich gefragt. Umso schöner, dass sich das Videodrom noch immer hält. Graf Haufen und seine Mitarbeiter der angeblich ältesten Programmvideothek Berlins haben gefühlt alle Filme aller Genres gesehen, vom Monsterfilm über Film Noir bis zu Arthouse und neuen Kinoproduktionen. Auf der Suche nach Empfehlungen für einen Filmabend haben sie immer gute Tipps und raten schonmal von schlechten Filmen ab. Die Zehnerkarte wird mit zum ausgeliehenen Film passenden Motiven gestanzt.
Kims Karaoke Bar
Hinter den Touristenströmen, die vor dem Curry 36 und Mustafas Gemüsedöner am Mehringdamm Schlange stehen, geht es durch den Hinterhof in eine der unprätentiösesten und schlichtesten und deshalb auch wieder auf ihre Weise charmantesten Karaoke Bars der Stadt: Kims Karaoke. Die Karaoke-Bar mit den kleinen Tischgruppen vor der Bühne ist ein koreanischer Familienbetrieb, deren Gäste anfangs hauptsächlich Koreaner waren, die sich nach Feierabend beim Singen entspannt haben. Heute wird die Bar von den verschiedensten Singfreudigen besucht, die Stammgäste verabreden sich zu Duetts von Bonnie Tyler und Co. Ab März ist allerdings auch hier Schluss. Mieterhöhung und so.
Bergmannstraße
Auch wenn es verkehrstechnisch häufig ein heilloses Durcheinander zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgänger auf der Bergmannstraße gibt und die Straße ziemlich überlaufen ist, ich mag die Flaniermeile mit den vielen kleinen Cafés und Restaurants. Es gibt an jeder Ecke Essen – von Vietnamesisch und Thai über Sushi, Döner und Griechisch bis zu mediterraner Feinkost. Dazu ein Trödel durch kleine Läden mit antiken Möbeln und Geschirr. Außerdem findet man auf der Bergmannstraße alles, was man schnell mal so brauchen kann: Eine kreative Geburtstagskarte im Ararat oder sonstigen Nippes.
Viktoriapark
Ein paar Meter laufen und schon ist man im Viktoriapark, für mich einer der schönsten und interessantesten Parks in der Stadt – mit kleinem Wasserfall und weiten Wegen zum Spazierengehen. Zum Schluss kann man sich auf den Kreuzberg setzen und eine tolle Aussicht über Berlin genießen.
Ach, und dann gibt es noch den Chamissoplatz, den ich vermissen werde. Das Yorck-Kino, das Rauschgold, den Späti Aqua, die perfekte Verkehrsanbindung durch die U7 und die U6 und, und, und. Aber ich darf mich nicht beschweren, denn nun geht es in den Schillerkiez. Auch da gibt es viel zu entdecken. Und in einer knappen Viertelstunde bin ich mit dem Fahrrad ja auch wieder im Bergmannkiez.