Von Berlin ins Umland

Kreuzberg ade, das Scheiden tut gar nicht so weh

Idylle Görli? Unser Autor ist davon nicht so überzeugt.
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Emma Bunt erzählte hier am Montag von ihrem Horror vor der Spießigkeit des Umlands. Unser Redakteur Nikolaus Triantafillou hatte diese Bedenken nicht, als er von Kreuzberg an den Potsdamer Stadtrand zog. Ob er die Entscheidung nicht doch manchmal bereut?

16 Jahre war Kreuzberg mit kurzen Unterbrechungen meine Heimat. Ich war volljährig und frei, nichts und niemand zwang mich, so lange dort wohnen zu bleiben. In meinem Reichenberger Kiez fühlte ich mich wohl. Bars, Restaurants, Geschäfte, die Stammkneipe, der Landwehrkanal – viele Orte, die das Leben angenehm machen, lagen fußläufig in Reichweite. Und dennoch: Seit ich 2015 nach Potsdam gezogen bin, habe ich Kreuzberg nur selten vermisst. Was war geschehen?

Zunächst mal: Wie viele Umzüge hatte meiner damals vor allem persönliche Gründe. In der alten 47-Quadratmeter-Bude wäre es dauerhaft zu zweit zu kuschelig geworden. Natürlich war mir schon länger klar, dass es mittelfristig etwas geräumiger sein dürfte. Nun war meine Prämisse: Größer und grüner soll es werden. Beides zusammen lässt sich in Kreuzberg heute nur noch schwer zu vernünftigen Preisen bekommen. Schon eine familientaugliche, bezahlbare Wohnung in den Innenstadtbezirken zu finden, erfordert ja viel Geduld.

 

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Raus ins Grüne

Im Zweifel war es mir damals lieber, etwas an den Stadtrand zu ziehen, dafür mehr Grün in der Nähe und mehr Platz in der Wohnung zu haben. Im Lauf der Jahre hatte sich mein Drang zur Natur immer stärker ausgeprägt. Und selbst wenn in Kreuzberg die Spatzen von den Dächern pfeifen und mir in der Reichenberger Straße schon ein Fuchs begegnet ist: Ich wollte mehr. Den „Görli“ empfand ich schon lange eher als Karikatur eines Parks. Nicht wegen der Dealer, sondern einfach weil er weder grün genug noch besonders erholsam ist.

Zunächst suchten wir an ruhigeren Ecken von Berlin: Lichterfelde, Karlshorst, Oberschöneweide. Fast wäre es eine Wohnung an der Spree und gegenüber der Wuhlheide geworden – aber eben auch an einer mehrspurigen Durchgangsstraße. Was bin ich froh, am Ende in Potsdam gelandet zu sein. Nicht nur, dass die Stadt einfach viel Charme hat: Am Stadtrand hört man sogar die Spechte klopfen, im Frühsommer die Nachtigallen singen und in der Nacht Waldkäuze und sogar mir völlig unbekannte Tiere rufen.

Nur wenige Minuten von Potsdams Innenstadt entfernt: die Kolonie Alexandrowka. ©Triantafillou

Muss denn Ruhe gleich spießig sein?

Auch das Thema Ruhe spielte eine Rolle. Das klingt erst mal arg konservativ. Aber es ging nicht darum, dass mir Kreuzberg zu laut war. Ich wollte vielmehr in meiner Freizeit etwas Entschleunigung und Gemütlichkeit. Schließlich arbeite ich nach wie vor gerne und mit vollem Herzen im lebendigen Berlin. 16 Jahre in Kreuzberg haben Spaß gemacht, aber natürlich ist gerade die Gegend um den Görlitzer Bahnhof in den letzten Jahren voller und hektischer geworden. Das brauche ich heute nicht mehr jeden Tag.

Dort, wo ich jetzt wohne, ist nachts auf den Straßen nichts los. Nicht mal Kneipen gibt es in der Umgebung. Doch in die Potsdamer Innenstadt ist es nicht weit und auch Berlin ist Tag und Nacht erreichbar. Was mir an Kreuzberg am ehesten fehlt, sind – logisch – die Menschen. Einige von ihnen, Nachbarn, die Leute in der Stammkneipe, die ich heute nicht mehr so häufig sehe wie früher. Ich kehre gerne wieder zurück, um Leute zu treffen, Fußball zu schauen oder ins Kino zu gehen. Im Laufe des Abends ärgere ich mich dann vielleicht mal, dass der Rückweg nach Hause so lang ist. Mit meiner Entscheidung habe ich trotzdem noch nie gehadert.

Es ist mir allerdings vollkommen verständlich, dass viele Leute in der Gegend bleiben wollen. Deshalb muss es dort weiterhin bezahlbare Wohnungen geben. Aber es gibt auch ein Leben nach Kreuzberg und ich mag es.

Foto Galerie

Kreuzberg ade, das Scheiden tut gar nicht so weh, Reichenberger Straße 155, 10999 Berlin

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