Route 65 - City Guides im Wedding

Mit Kids durch den Kiez

Im Einsatz für ein besseres Bild vom Wedding: Etizaz vor der Willy-Brandt-Oberschule.
Im Einsatz für ein besseres Bild vom Wedding: Etizaz vor der Willy-Brandt-Oberschule. Zur Foto-Galerie
Seit 2006 organisiert der Verein Kulturbewegt e.V. Stadtteilführungen durch die Berliner "Problembezirke" Neukölln und Wedding. Nicht nur die Route ist ungewöhnlich. Vor allem die City Guides machen die Führungen zu etwas besonderem: Es sind Jugendliche aus dem Kiez, die den Besuchern einen Teil ihrer Heimat zeigen. QIEZ.de hat Habib und Etizaz auf ihrer Tour durch den Wedding begleitet.

„Rap und Religion“ – unter diesem Motto führen zwei in Berlin geborene Brüder interessierte Berliner, Touristen und Studentengruppen durch ihren Kiez. Die Idee dazu kam dem 18-jährigen Habib vor drei Jahren. „Damals wurde ich durch einen Newsletter auf die Idee der Kiez-Führungen aufmerksam“, berichtet der junge Mann, dessen Eltern vor mehr als 30 Jahren aus Pakistan in die Hauptstadt zogen. Seit knapp einem Jahr wird er bei den Führungen von seinem älteren Bruder Etizaz unterstützt. Schon wenige Minuten nach dem Start der Tour machen beide auf den wichtigsten Grund für ihr Engagement aufmerksam: „Wir hoffen, dass über unseren Bezirk auch mal etwas Positives berichtet wird“, erklärt Etizaz.

Etizaz und Habib

Der erst Halt auf ihrer Route ist daher sehr bewusst gewählt. Vom Gesundbrunnencenter, dem Treffpunkt der Führungsteilnehmer, geht es entlang der Badstraße zur Willy-Brandt-Oberschule. „Früher war die Schule ein Beispiel für die schlimmsten Vorurteile über den Wedding“, erklärt der 20-jährige Etizaz. Getreu dem Motto „Was guckst du, wie guckst du“ sei es zwischen den einzelnen Banden der Schule immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen.

Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund

Doch mittlerweile habe sich die Situation deutlich verbessert. Dies sei vor allem dem Einsatz von Sozialpädagogen mit Migrationshintergrund zu verdanken. „Sie haben den Schülern vermitteln können, dass jeder etwas erreichen kann und man ohne Schulabschluss am Ende ist.“ Etizaz erklärt, wie wichtig in diesem Zusammenhang der kulturelle Hintergrund der Sozialarbeiter sei. „Sie können die Kultur der Familien besser verstehen und vor allem die Sprache der Eltern sprechen.“

Mit großem Interesse wird dieser Punkt von den etwa 20 Teilnehmern der Führung aufgenommen. Rasch ist die anfängliche Schüchternheit überwunden und es entwickelt sich, nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag, eine intensive Diskussion über die multikulturelle Zusammensetzung der Schul-Banden und den möglichen Einsatz von Polizisten mit Migrationshintergrund.

Zu Gast im Orient-Laden

Nach diesem ersten Zwischenstop führen Habib und Etizaz die Besucher in einen verwinkelten orientalischen Laden, der neben einer bunten Auswahl an Shishas auch zahlreiche religiöse Utensilien und traditionelle Einrichtungsgegenstände im Angebot hat. Mit viel Geduld und Offenheit erklären die Brüder die Bedeutung einzelner Objekte. Im Gegenzug können die Führungsteilnehmer mit eigenen Erfahrungen auf dem Gebiet der orientalischen Wasserpfeife punkten.

Moschee im Hinterhof

Nun folgt ein kurzer Fußmarsch weiter die Badstraße hinauf, bis die Gruppe an der PAK Muhammad Moschee, dem Höhepunkt der Führung, ankommt. „PAK steht dabei für Pakistan“, so Habib. „Zwar ist eine Moschee generell für alle Muslime geöffnet, doch der Imam und der Vorstand dieser Einrichtung stammen aus dem Land unserer Eltern.“ Früher wurde das Gebäude als Gemüsehalle genutzt. Habib bedauert diesen Zustand und berichtet in diesem Zusammenhang von den Bemühungen der beiden pakistanischen Gemeinden im Wedding, gemeinsam eine Moschee zu errichten. Nach Angaben Habibs gäbe es allerdings für dieses Vorhaben keinerlei staatliche Unterstützung und es sei sehr schwer, ein Gebetshaus nur aus Spendengeldern zu errichten.

Moschee-Besuch

Nachdem sich die Führungsteilnehmer in einem kleinen Vorraum von ihren Schuhen getrennt haben, betritt die Gruppe mit einer gewissen Scheu den Gebetsraum. Doch auch hier brechen Habib und Etizaz schnell das Eis. Sie erklären, dass außer angemessener Kleidung und dem Nicht-Betreten des Imam-Teppichs keine schwerwiegenden Regeln gäbe und man sich ruhig umschauen könne. Die Besucher folgen dieser Einladung gerne und nehmen erst nach einigen Minuten auf den gemütlichen Gebetsteppichen Platz.

Offene Diskussionen willkommen

Im Folgenden entspinnt sich zwischen Habib, der erst vor zwei Wochen von seiner ersten Reise nach Mekka zurückgekehrt ist, und der deutschn Gruppe ein intensives Gespräch über die fünf Säulen des Islam – Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Pilgerfahrt und Almosen – sowie über Frauenrechte, Heimatgefühl und aktuelle politischen Diskussionen. Obwohl dabei zum Teil gegensätzliche Meinungen ausgetauscht werden, bleibt die Gesprächsatmosphäre entspannt und als man sich schließlich zur letzten Etappe der Tour durch den Wedding aufmacht, haben viele Führungsteilnehmer einen Blick auf die tolerante und weltoffene Seite des Bezirks werfen können.

Vor dem Tonstudio

Zuletzt berichtet Etizaz vor der Zentrale des Kiez-Projektes „Gangway“ in der Buttmannstraße 15 von seiner Liebe zur Musik. Jahrelang hat der 20-Jährige sich mit viel Engagement für die Rap-Kultur im Kiez eingesetzt. Seine Gruppe ICMB regt noch heute Jugendliche im Wedding dazu an, die eigenen Erfahrungen in Rhymes zu fassen. „Dabei geht es nicht um frauenfeindliche oder rassistische Parolen, sondern um die eignenen Erlebnisse und Dummheiten“, so Etizaz. Er selbst rappt seit drei Jahren nicht mehr. „Nachdem ich die zehnte Klasse zu zweiten Mal wiederholen sollte, musste ich mir zunächst über meine Zukunft Gedanken machen.“ Heute absolviert der junge Mann eine Ausbildung zum Bürokaufmann. Sein Bruder Habib macht gerade das Abitur. Ein weiterer Punkt, an dem die beiden Jungen aus dem Kiez die Vorurteile über den Wedding wiederlegen.

Foto Galerie

Kulturbewegt e. V., Oranienburger Straße 37, 10117 Berlin

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