Was bleibt von mir nach meinem Tod? Diese Frage stellt sich irgendwann wohl jeder Mensch. In dem Werk Nachlass – pièces sans personnes der großartigen Theatergruppe Rimini Protokoll enthüllen acht Personen, manche davon bereits verstorben, ihre Geschichte. Die Ausstellung fühlt sich an wie ein Theaterstück in Etappen, getreu dem Motto des amerikanischen Künstlers Allan Kaprow: Go in instead of look at. Nacheinander betreten wir einen Raum mit persönlichen Gegenständen, der sich wie das Innenleben des Erzählers anfühlt.
In einem kleinen Schlafzimmer auf dem Bett sitzend, sehen wir die Videobotschaft eines todkranken Vaters an seine kleine Tochter. Oder wir hören einer alten Frau zu, die bereits gestorben ist und sich nun in ihrer eigenen Abwesenheit einen Lebenstraum erfüllt: Wie ein Geist singt sie für uns, das Publikum, während das Spotlight des Minitheaters über die menschenleere Bühne tanzt. Was ein Mensch hinterlassen, wie er erinnert werden will, ist individuell: ob Fotos, eine Botschaft, eine Stiftung oder einfach nur eine Stimme. Hauptsache, es gibt einen Beweis davon, dass er gelebt hat.
Virtual Reality treibt den Puls nach oben
Die zweite Ausstellung der Immersion-Reihe, Limits of Knowing, befasst sich mit alternativer Wahrnehmung. Mit einer VR-Brille erlebt der Besucher bei Mona el Gammal einen Mix aus politischem Theaterstück und virtueller Realität: In dem Stück versucht eine geheime Untergrundgruppe, das Rhizomat, den Zuschauer vor dem totalitären Institut für Methode (IFM) zu retten. In dieser dystopischen Welt hat das globale Privatunternehmen IFM den Staat ersetzt. Unter dem Schutzmantel von Sicherheit und Stabilität unterdrückt und überwacht es die Menschen bis in den kleinsten Lebensbereich – sogar ihre Gedanken. Der 360-Grad-Film ist faszinierend und bedrückend zugleich: Als uns eine Apparatur in den Kopf sägen will, fühlen wir den starken Drang, die Brille schnell abzusetzen, um uns zu retten. Sicher ist sicher.
Und das Abenteuer geht noch weiter: In der immersiven Rauminstallation Haptic Field 2.0 von Chris Salter + Tez fühlen wir uns unangenehm an die Gruselserie Stranger Things erinnert, in der Horrorgestalten aus einer Parallelwelt in unsere Welt eindringen und Menschen jagen. Mit Sensoren am ganzen Körper und einer speziellen Brille tapsen wir fast blind und orientierungslos in stockdunklen Räumen herum, begleitet von seltsamen elektronischen Geräuschen. Da wir nichts sehen, müssen wir uns auf den Tastsinn verlassen: Die Umgebung reagiert auf Bewegungen, die Sensoren vibrieren und knistern, wenn sich ein anderer Besucher nähert oder sich das Licht ändert. Haptic Field 2.0 ist ein eindrucksvolles Experiment, das den Puls ziemlich in die Höhe treibt.
Wie lange ist für immer? – Manchmal nur eine Minute!
Danach geht es etwas entspannter bei Arrival of Time weiter. Diese Räume beschäftigen sich mit der sinnlichen Darstellung von Phänomenen wie dem Raum-Zeit-Kontinuum und Schwarzen Löchern – schön erklärt auch durch das Abenteuer von Alice im Wunderland. Die Arbeit ER=ERP zeigt mit Hilfe von Wasser und Licht eine faszinierende Nachbildung der Raumzeit-Krümmung. In einem anderen Wasserbecken versteckt sich dagegen ein bunter Fangschreckenkrebs: Ein erstaunliches Tier, das statt den normalen drei ganze 16 Lichtrezeptoren besitzt und somit Farben wahrnehmen kann, die außerhalb der menschlichen Vorstellung liegen.
Nach so starken Eindrücken sind wir froh, wieder in die reale Welt zu kommen. Denn das Eintauchen in die Kunst gelingt leicht bei Immersion – das Wiederauftauchen ist dafür viel schwerer.
Die Ausstellungsreihe Immersion kannst du bis zum 31.7. sehen. Geöffnet ist Mittwoch bis Montag von 10 bis 19 Uhr, Dienstag geschlossen. Ein Ticket für Limits of Knowing beinhaltet das Rhizomat VR, Arrival of Time und und Haptic Field 2.0 und kostet 11 Euro, ermäßigt 7 Euro. Als Kombiticket mit Rimini Protokolls Werk Nachlass kostet das Ticket 20 Euro, ermäßigt 12 Euro.