Gewagte Ausstellung

Haus Bethanien: Können Massenmörder Märtyrer sein?

Kopie von Bethanien
Das Märtyrermuseum präsentiert die Leben und Tode zahlreicher Märtyrer*innen und wirft dabei eine wichtige Frage auf: Können Attentäter Märtyrer sein?

Das dänische Künstlerkollektiv TOETT, The Other Eye of the Tiger, setzt sich in ihrer Ausstellung mit den Biografien und vor allem den Toden von Märtyrer*innen auseinander. Vorgestellt werden zum Beispiel Sokrates, Rosa Luxemburg, Martin Luther King und eben auch Mohammed Atta, einer der Attentäter des 11. Septembers sowie Ismaël Omar Mostefaï, einer der Bataclan-Attentäter. Der Sinn des Ganzen liegt laut Kollektiv darin, möglichst wertungsfrei Menschen zu zeigen, die aus religiösen oder politischen Gründen wegen ihrer Überzeugungen getötet worden sind beziehungsweise ihr Leben opferten. Das Kollektiv möchte damit die Komplexität des Begriffes Märtyrer veranschaulichen.

Zuallererst: Wieso?

Laut Duden versteht man unter einem Märtyrer jemanden, der sich für seine Überzeugung opfert oder Verfolgung auf sich nimmt. In unserer Kultur einen Massenmörder als Märtyrer zu bezeichnen, überschreitet ohne Zweifel eine moralische Grenze. Ismaël Omar Mustafaï wird trotzdem in der Ausstellung gezeigt, weil er vom IS entsprechend betitelt wird. Ohne damit übereinzustimmen oder zu sympathisieren, möchten die Künstler aufzeigen, wie vielschichtig der Begriff Märtyrer*in sein kann und diesen von verschiedenen Seiten beleuchten – egal, wie grausam das erscheinen mag.

Die Ausstellung kündigt sich als informativ, sachlich und wertungsfrei an. Die Frage ist: Kann man wertungsfrei einen Bürgerrechtler wie Martin Luther King, der sein Leben lang für Gleichberechtigung kämpfte und dafür mit seinem Leben bezahlte, neben eine Person stellen, die das Leben von 89 Konzertgästen auf dem Gewissen hat? Ordnen sich die Macher der Ausstellung dabei nicht in die Reihen derer ein, die den Begriff Märtyrer*innen missbrauchen?

Die Französische Botschaft zeigt sich in einer Stellungnahme bestürzt über die Darstellung der Täter im Bataclan als Märtyrer. Eine solche Sichtweise sei zutiefst schockierend, heißt es darin. Obwohl die künstlerische Freiheit geschätzt werde, „prangern wir diese Vermischung von Märtyrertum und Terrorismus mit Nachdruck an.“

Bei unserem Besuch der Märtyrer-Ausstellung zeigt sich folgendes Bild: In einem dunklen, kleinen Raum wird uns die Geschichte der Märtyrer*innen, wie zum Beispiel Maxmilian Kolbe, aber auch Ismaël Omar Mustafaï, näher gebracht. Diese werden äußerst anschaulich beschrieben und dazu noch mit speziellen Sound- und Lichteffekten untermalt. Gerade diese Darstellung des Todes der Märtyrer ist wenig sachlich, sondern hat unterhaltende Züge. Beispielsweise beginnt die Geschichte von Ismaël Omar Mustafaï mit bunten Diskolichtern und beatlastiger Musik und wird mit einer äußerst detailreichen Schilderung des Attentats fortgeführt. Die Spannungsmomente, die vielleicht die Aufmerksamkeit und das Interesse des Zuhörers steigern mögen, wirken in diesem Kontext allerdings deplatziert und unangemessen. Zusätzlich trägt das Detailreichtum der Geschichten dazu bei, dass man ihren Wahrheitsgehalt hinterfragt.

Die Behauptungen der Veranstalter, das Thema wertungsfrei, sachlich und informativ zu behandeln, lassen sich daher leicht anzweifeln. Auch das Gefühl, dass die Attentäter in der Ausstellung fehl am Platz sind, bleibt beim Verlassen des Raumes bestehen.

Die Ausstellung befindet sich im Studio 1 im Kunstquartier Bethanien und läuft noch bis zum 6.12. Geöffnet ist von 12 bis 20 Uhr, die Vorführung beginnt zu jeder vollen Stunde. Eine Karte kostet 10 Euro, ermäßigt 7,50.

Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin

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