Die Tastatur bleibt unberührt und es braucht auch keinen Mausklick, wenn in der Langen Nacht der Wissenschaften am 2. Juni der Schachspieler am Computer seine Züge macht. Bei der großen Wissenschaftsshow im Audimax reicht ihm ausschließlich die Kraft seiner Gedanken. Das ‚körperlose Spiel‘ wird durch ein „Brain-Computer Interface“, kurz BCI, ermöglicht. Man versteht darunter die Schnittstelle zwischen dem Gehirn eines Benutzers und einem Computer. Die Hirnaktivität wird zum alleinigen Steuerungsinstrument und neuen Kommunikationskanal.
Die Forschungsgruppe um Professor Klaus-Robert Müller vom Fachgebiet Maschinelles Lernen an der TU Berlin arbeitet im Rahmen des EU-finanzierten Projektes „Tobi“ (Tools for Brain-Computer Interaction) an diesem System. Es kommt bereits in mehreren klinischen Studien zum Einsatz. Ganz ohne Körpermotorik können Menschen auf diese Art Geräte steuern, beispielsweise einen Rollstuhl.
Der Computer lernt, das Hirn zu verstehen
Bevor die Schachpartie starten kann, muss das BCI-System zur Vorbereitung kalibriert werden. Dabei „lernt“ der Computer, das Elektroenzephalogramm (EEG) des Spielers zu entschlüsseln. Zu diesem Zweck erfasst der Rechner zwei Arten von Hirnsignalen: Die einen repräsentieren die visuelle Aufmerksamkeit auf die Schachfigur, mit der der Spieler den nächsten Zug plant, die anderen Signale beziehen sich auf jene Figuren, mit denen er aktuell nicht spielt. Je nach Alter, Rauchgewohnheiten, Tagesform oder auch Schädeldicke schwanken die Daten sehr stark und werden zusätzlich durch die Hintergrundaktivität des Gehirns beeinflusst. Mit Algorithmen des Maschinellen Lernens ist es dennoch möglich, die Muster der beiden Signalarten zu erkennen. Nach rund zehn Minuten hat das BCI die benötigten Informationen und das Spiel kann beginnen. Wie von Geisterhand macht der Schachspieler mit konzentriertem Blick auf den Bildschirm seine Züge. Sein Gegenspieler kommt aus dem Publikum.
Es gibt zahlreiche Anwendungen für die Technik: Der Spielklassiker „Vier gewinnt“ wird bereits dazu eingesetzt, um mit schwer gelähmten Patienten die Nutzung des BCI zu trainieren. Für das Reha-Training gibt es einen Versuchsaufbau, bei dem man sich Bewegungen vorstellt und so den Computer steuert. Außerdem ist es schon möglich, per BCI einen Musikplayer und Webbrowser zu bedienen.
Viele Anwendungen für körperlich eingeschränkte Menschen
In Berlin gibt es auf diesem Forschungsgebiet eine lebhafte Kooperation zwischen Informatikern und Mathematikern sowie Neurologen und Psychologen der Charité. Michael Tangermann ist der Leiter des Tobi-Projekts an der TU Berlin. Er erklärt, warum gerade Schach so gut für die BCI-Steuerung durch motorisch eingeschränkte Menschen geeignet ist: „Schach als Strategiespiel ist kognitiv äußerst anspruchsvoll. Auf dem Spielbrett die Kräfte zu messen, repräsentiert eine soziale Interaktion, die wir unterstützen möchten.“ Einer Person, die sich nicht rühren und nicht sprechen kann, traue man oft auch nur geringe geistige Fähigkeiten zu, sagt Tangermann. Dies sei beim Menschen ein Automatismus. „Wenn man aber erkennt, was der gelähmte BCI-Benutzer leisten kann, gewinnt er an Ansehen.“
Die Große Wissenschaftsshow beginnt mit dem faszinierenden „Gedanken-Schach“. Durch das Programm führt die TV-Moderatorin Hadnet Tesfai. Bildende Unterhaltung garantieren Regenwaldfrösche, ein Musik-Emotionen-Experiment, 3D-Simulationen von Tieren und vieles mehr. Außerdem trägt die Kreuzberger Theatergruppe „Die Gorillas“ mit Impro-Comedy im Dienste der Wissenschaft zur Belustigung bei.