Es ist das Jahr 1956 in Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt): Die Mauer steht noch nicht und der Glaube an den Sozialismus ist tief verwurzelt. Russische Soldaten in der Kneipe gehören für die Abiturienten Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) genauso zum Alltag wie der morgendliche Schulappell. Trotz Kontrolle schaffen es die beiden besten Freunde zu einem Kinobesuch in Westberlin und sehen dort in der Wochenschau junge Studenten in Budapest, die sich gegen die Kommunistische Partei und die sowjetische Besatzungsmacht erheben.
Ganz von diesen Bildern eingenommen erzählen sie davon ihren Klassenkameraden und hören verbotenerweise den Westradiosender RIAS. Hier erfahren sie, dass ihr Fußballidol, der ungarische Nationalspieler Ferenc Puskás vermeintlich bei den Protesten in Budapest getötet wurde. Am nächsten Tag halten sie spontan eine Schweigeminute für Puskás im Klassenzimmer ab. Diese scheinbar kleine Geste – die von Rektor Schwarz (Florian Lukas) als dummer Jungenstreich abgetan wird – führt dazu, dass sich die Jugendlichen harten Verhören unterziehen müssen. Denn die menschliche Geste wird als Angriff auf die noch junge DDR verstanden. Sogar der Volksbildungsminister (Burghart Klaußner) tritt auf den Plan und will, dass Schüler und Schülerinnen den Rädelsführer benennen, sonst bleibt ihnen eine Zukunft mit Schulabschluss verwehrt. Es beginnt eine Welle von struktureller Gewalt, wobei der Druck auch innerhalb der Klasse als auch unter den Familien steigt.
Das schweigende Klassenzimmer setzt eine mitreißende Geschichte zentral, die vielen wohl unbekannt ist und dabei behandelt sie einen Zeitraum, der eher selten filmisch in den Fokus gerät, nämlich den des Kalten Krieges in Deutschland kurz vor Mauerbau 1961. Die bereits stark ausgeprägte Überwachung von Bürgern clasht auf neue berufliche Chancen (Rektor Schwarz) und Zusammenhalt, ob nun familiär oder freundschaftlich, trifft auf Vertuschung von Kriegsverbrechen. In diesem Spannungsfeld entschließen sich einige der Jugendlichen politisch zu sein. Auslöser ist die Parallele, die sie ziehen zwischen sich und anderen jungen Menschen etliche Hundert Kilometer entfernt.
So trifft Regisseur Lars Kraume zwei Punkte von Interesse und Reibung: Zum einen eine kaum bekannte Story und zum anderen aktuelle Themen wie Propaganda/Fake News, Redefreiheit, politische Aktivität und Empathie mit Menschen aus anderen Ländern. Der Ausgangsstoff zur Geschichte – das gleichnamige Buch von Dietrich Garstka, der selbst einer der Schüler von damals war – erzählt die Geschichte mit fast wissenschaftlichem Touch. Kraume bringt in der Verfilmung deutliche Dramatik rein: Sei es der Betrug von Kurt an Theo, weil er mit dessen Freundin Lena (Lena Klenke) knutscht oder die dramatischen Familienverhältnisse von Erik Babinski (Jonas Dassler).
„Es ist alles im Grunde so ähnlich, wie es sich in Wahrheit zugetragen hat, aber die Figuren, ihre Familien und auch der Drehort sind verändert“, sagt Kraume in einem Interview. Eigentlicher Ort des Geschehens war Storkow, der Ortswechsel war laut Kraume dem geschuldet, dass sie im Film eine florierende DDR zeigen wollten und Stalinstadt „war 1956 sehr modern, großzügig angelegt als Arbeiterstadt um die Stahlhütte gebaut und bot den Bewohnern Annehmlichkeiten von denen man im Westen im Ruhrpott nur träumen konnte.“
Gut eingegroovt zwischen Drama und Reality
Mit dem schweigenden Klassenzimmer ist Lars Kraume wieder ein wunderbar unterhaltender und packender Film gelungen, der den Drahtseilakt zwischen zu viel Dramatisierung und tatsächlichem Geschehen gut meistert. Neben den überzeugenden Leistungen von Burghart Klaußner und Ronald Zehrfeld (4 Blocks), die schon öfter mit Kraume gearbeitet haben, bleibt besonders der junge Cast in Erinnerung. Sie portraitieren den Zusammenhalt in der Klasse und den Schulalltag beinahe wie selbst gelebt. Das mag auch daran liegen, dass sich die jungen Schauspieler auch kennen, so sind Tom Gramenz und Jonas Dassler beide Schüler an der Ernst Busch Schauspielschule. Es mag aber wohl vor allem an der Spürnase von Nessi Nesslauer (entdeckte Franka Potente) liegen, dass der Zuschauer sofort ein Gefühl für die Klasse und für die Schwere der Entscheidungen und Verwirrung um eine sich schnell wandelnde Lebensrealität bekommt.
Das schweigende Klassenzimmer läuft auf der Berlinale noch am 21. Februar um 9.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele, am 23. Februar um 21.30 Uhr im Kino Casablanca sowie am 25. Februar um 9.30 Uhr im Haus der Festspiele. Offizieller Kinostart ist der 1. März 2018. Der Film wird für die Reihe Berlinale goes Kiez zusätzlich auch in der JVA Tegel für Insassen gezeigt. (nicht öffentlich)