Faker hat den Flash gefailt. Verstehen Sie? Riesenblamage, 1. 000 Menschen lachen. Und auf Twitter und Reddit machen sie schon Witze.
Sie verstehen nichts? Also anders: Der Lionel Messi des E-Sports, des Computerspiels als Zuschauerattraktion, hat gerade einen Elfer verschossen. Und das vor Millionen Menschen, die im Livestream verfolgen, was gerade in der Mercedes-Benz-Arena am Ostbahnhof passiert. Superstar Faker, ein 19-jähriger Koreaner, wollte sich mit einem alltäglichen Trick, dem Flash, aus einer brenzligen Situation herausbeamen und sprang gegen eine Festungsmauer. Ziemlich peinlich.
Über die Warschauer Brücke eilen an diesem Samstagvormittag Männer in grünen Samthüten und Frauen im Bikini. Aus manchen Hintern ragen neun weiße Fuchsschwänze. Das hat nichts mit Halloween zu tun, sondern mit Berlins verborgenster Weltmeisterschaft: dem Finale des Computerspiels „League of Legends“. Oder wussten Sie davon? Die Fans weltweit schon, sie brauchten nur 90 Sekunden, um alle Tickets aufzukaufen. Kein anderes Videospiel ist annähernd so erfolgreich: Rund 30 Millionen Menschen kämpfen täglich in einer Fantasielandschaft aus Schilf und Steinen gegen Drachen, Armeen von Minimonstern und ein fünfköpfiges Kontrahenten-Team.
200 Euro hat Louison Druelle für sein Ticket bezahlt
Louison Druelle aus Lille hat seine Tickets eine Millisekunde zu spät in den Warenkorb gelegt, da hatte sich die Seite schon aufgehängt, zu viel Andrang. Er kaufte eine Eintrittskarte für 200 Euro auf Ebay, einen Flug nach Berlin, eine Jacke mit dem Logo der Weltmeisterschaft. Beim Halbfinale in Brüssel war er auch.
Von seiner Freundin hat er sich getrennt, keine Zeit neben dem Game
„League of Legends“, LoL, ist gratis. Anders als bei anderen Computerspielen bezahlt man hier nur für die Schönheit seiner Rollen, der Figuren also, mit denen man durchs Schilf jagt. Louison Druelle hat in den vergangenen Jahren seiner Fuchsfrau Ahri mit 300 Euro ein paar neue Kleider gekauft. Skins, Häute, sagen die Gamer dazu. Der LoL-Erfinder „Riot Games“ achtet streng darauf, dass es nicht möglich ist, sich von anderen, die mehr Zeit haben, in eine höhere Liga spielen zu lassen.
Wenn Druelle seinen Spielernamen auf einer Seite eingibt, die selbstironisch „Waste LoL“ heißt, erfährt er, wie viel Zeit er bereits in dem Universum verschwendet hat: Es sind genau 250 Tage. Louison Druelle hat sein Leben um LoL herum gebaut, ist extra ein paar Häuser entfernt von seinem Arbeitsplatz gezogen. Tagsüber repariert er Kaffeemaschinen, ab 18 Uhr spielt er sich bis ein Uhr nachts durchs Schilf. Im richtigen Leben, sagt er, habe er kaum Freunde. Von seiner Freundin hat er sich getrennt, es blieb keine Zeit neben dem Game.
Die Europäer sind alle ausgeschieden, zwei koreanische Teams im Finale
Manchmal, wenn er die Nacht etwas entspannter angehen will, schaut er über dem Abendessen eine Runde Twitch TV, da kommentieren die Béla Réthys der LoL-Welt die Spielzüge der Profis. Gut 50 von ihnen kämpften in den vergangenen acht Monaten in Gruppenphase und Finalstufen um die Weltmeisterschaft. Die europäischen Teams, die Druelle unterstützt, sind im Halbfinale ausgeschieden. Übrig blieben, wie so oft, zwei koreanische: das strategisch starke Team mit dem Superstar Faker, SK Telecom, das bereits 2013 die WM gewann und die chaotischeren KOO Tigers.
Dazu kämpfen die jeweils fünf pausbäckigen Koreaner auf festgelegten Positionen, es gibt Stürmer, Verteidiger, ein Mittelfeld, sogar eine Art Libero. Durchs Töten kleiner Monster häuft jede Gruppe Gold an, das sie in einem Shop für Schwerter mit Namen wie „Bludürster“ oder Schutzschilde investieren können. Je nachdem, welche Militärausgaben die gegnerische Gruppe so tätigt.
„LoL ist meine Droge, doch ich will davon nicht loskommen“
Louison Druelle diskutiert all diese Entscheidungen mit anderen Fans. Viele von ihnen haben ihr Englisch durch das Spiel gelernt. Sie kennen die Worte für Amoklauf oder Panzertum, aber können nicht beschreiben, was sie beruflich machen. Das ist ihnen auch nicht wichtig. „Ich weiß, dass LoL meine Droge ist. Aber nicht wie Heroin. Ich will davon nicht loskommen“, sagt Druelle. Muss er das denn?
Beim Berliner Basketball rennt ein Plüschalbatross umher, beim Kölner Fußball ein echter Geißbock. Wie neu sind die verkleideten Fantasiefiguren wirklich, wie fremd ist das alles? Stellen wir uns vor, es ist 2030. Familien strömen ins Stadion, Schal und Trikot in den Farben ihrer Lieblingsmannschaft, in der Schlange vor der Würstchenbude debattieren sie die neuesten Spielertransfers. E-Gaming könnte der Fußball der Zukunft werden, und wer einen Tag mit Louison Druelle verbringt, findet: Das wäre nicht mal so schlimm.
Kurz bevor Faker praktisch im Alleingang das letzte Match gewinnt und damit den Titel und eine Million Dollar für sein Team, erklärt eine Pommesverkäuferin der anderen den Spielstand. 2030 ist nah.