Mieter wie Fred Boger gibt es nur noch wenige an der Josef-Orlopp-Straße. Das Wohnhaus ist das erste Gebäude der einstigen Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) VEB Siemens-Plania, die am 4. Juni 1954 gegründet wurde. Der Giebel eines der ersten Gebäude an der Ecke Ruschestraße und Josef-Orlopp-Straße erinnert seit einigen Wochen an die Geschichte der Genossenschaft, die nach dem Mauerfall in Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg umbenannt wurde. Anfangs waren sie 27 Mitglieder, sagt Fred Boger. Damals habe der Vorsitzende der AWG die Fäden in der Hand gehabt und die Einsätze der Mitglieder organisiert. Denn jeder künftige Bewohner musste 200 Arbeitsstunden leisten, um eine der begehrten Wohnungen für 73 Pfennig pro Quadratmeter anmieten zu können. Im Gegensatz zu anderen Wohnungen war das eine günstige Miete. Woanders musste man schon 90 Pfennig pro Quadratmeter berappen.
Das Wohnhaus, in dem Fred Boger bis heute wohnt, hat die Zeiten überstanden und ist doch so etwas wie ein kleines Wohndenkmal. 1997 wurden die alten Kachelöfen durch moderne Heizungen ersetzt, auch die Fenster und alten Elektroleitungen in Bad und Küche wurden getauscht. Doch vieles hier ist noch wie 1954: Dazu gehören die schönen, alten Holztüren mit den Milchglasfenstern. Oder der Steinfußboden im Treppenhaus. So mancher Lichtschalter hat die Jahre in den Wohnungen überlebt. Und auch die alte Speisekammer dient zumindest Fred Boger weiter als Stauraum. „Die sollte eigentlich im Zuge der Küchensanierung weichen“, sagt Boger. Er bat aber darum, das Kämmerlein unversehrt zu lassen.
Um das Haus herum hat sich alles verändert. Auf der Josef-Orlopp-Straße nach vorn raus fahren unentwegt Autos und Linienbusse. Vom einstigen Rittergut, auf dem das Wohnhaus entstand, ist auch nichts mehr übrig. Während sich Berlin in den vergangenen Jahrzehnten veränderte, blieb das Wohnhaus von Fred Boger und seinen Nachbarn fast unverändert – sieht man mal von der sanierten Fassade ab. Drinnen, in seiner Wohnung, steht noch die erste Hellerau-Schrankwand, die sie sich damals gekauft haben. Auch die Stühle am Esstisch, die kleinen Beistelltischchen oder die Wanduhren haben die Zeit überstanden.
Wohnungen in Lichtenberg: traditionell gebaut
Die WGLi wurde am 4. Juni 1954 als Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) VEB Siemens-Plania, dem späteren VEB Elektrokohle, gegründet. Das Richtfest für den ersten Wohnblock der Genossenschaft wurde am 18. Dezember 1954 gegründet. Bis 1958 wurden sechs Wohnobjekte mit 146 Wohnungen fertiggestellt. Sie entstanden in traditioneller Bauweise.
Deutlich schneller wurden die weiteren Wohnhäuser der AWG ab den 1960er-Jahren in industrieller Plattenbauweise errichtet. 1962 entstehen die ersten sechs Wohnobjekte im Großblockverfahren. Ab 1965 beschäftigt die AWG ein eigenes Handwerkerteam für die Instandhaltung der Häuser. 1969 folgen die ersten Wohnungen im „Hans-Loch-Viertel“ in Friedrichsfelde – in zehngeschossigen Wohnbauten des Typs QP64.
Ab 1972 entstand mit dem Fennpfuhl die erste zusammenhängende Plattenbau-Großsiedlung der DDR. Bis heute leben in dem Lichtenberger Ortsteil die meisten Mieter der Genossenschaft. Bis Ende der 1970er-Jahre wächst der Wohnungsbestand der AWG auf 10.489 Wohnungen.
Im September 1990 bekommt die AWG einen neuen Namen und eine neue Satzung. Es ist die Geburtsstunde der WGLi Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg e.G. Die Genossenschaft verfügt jetzt über 10.134 Wohnungen, in denen 25.000 Menschen leben. Sie ist die größte Genossenschaft Berlins. (Quelle: WGLi)
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