Ich gebe zu, ich hänge mich selten in Hashtag-Debatten und Social-Media-Trends rein. Auch, weil mich viele Themen schlicht zu wenig interessieren und mir Hypes gerne mal auf den Keks gehen. Bei #MeToo ist das anders. Den Hintergrund muss ich vermutlich nicht lange erklären? Film-Mogul Harvey Weinstein soll unzählige Frauen sexuell belästigt und missbraucht haben, Schauspielerin Alyssa Milano rief daraufhin auf Twitter alle Frauen dazu auf, den #MeToo zu posten, wenn sie ebenfalls Opfer sexueller Belästigungen oder Übergriffe wurden. Die Resonanz ist gigantisch – die Diskussion auch.
Zum Glück! Denn all die Kommentare, die nun Facebook und Co überfluten und auch meine Timeline dominieren, haben mir sehr sehr viel zu denken gegeben. Und erstmal für ein kleines Durcheinander in meinem Kopf gesorgt.
Zunächst: Muss in diesem Fall wieder so ein Hauruck-Hashtag-Aufruf sein, um einem Thema Gehör zu verschaffen? Jetzt sage ich ganz klar: Ja. Denn während ich es nach wie vor ein wenig kritisch sehe, wenn Menschen per Facebook nach schlimmen Ereignissen auf der Welt fast schon selbstzufrieden Anteilnahme bekunden wollen, indem sie irgendein Logo in ihr Profilbild packen (auch, wenn es natürlich eine gut gemeinte Geste ist), ist #MeToo etwas ganz anderes: Hier ergreifen Frauen und übrigens auch Männer die Chance, einer breiten Öffentlichkeit von einem Unrecht mitzuteilen, das ihnen widerfahren ist. Und über das sie in vielen Fällen sicher noch nie gesprochen haben, weil sie gar nicht wussten, ob das der Rede wert ist. Oder ob sie mit dem Problem alleine sind.
Wir sind viele
Jetzt wissen sie: Sie sind nicht allein, im Gegenteil! Und es sind nicht mehr nur ein paar Prominente wie Lady Gaga, die schon vor einer Weile öffentlich von persönlichen Missbrauchserfahrungen erzählt haben. Jetzt sind es vielleicht auch Kolleginnen oder sogar enge Freundinnen, die sich trauen, Stellung zu beziehen. Und es kann nur gut sein, wenn sich hier ein Gefühl von Solidarität und vor allem Aufmerksamkeit Bahn bricht. Abgesehen davon, wie erschreckend die Anzahl der Betroffenen ist.
Die wunderbare Bloggerin und Köchin Sophia Hoffmann war schon vor Jahren so mutig, öffentlich von ihrer Vergewaltigung zu erzählen. Ihr aktueller Facebook-Post zum Thema hat mit wenigen Worten die richtigen Worte gefunden. Hier heißt es unter anderem: „Klar kann der Hashtag #metoo alleine nicht die Welt verändern, das wissen wir doch alle. Aber er funktioniert als Ermutigung, als Sichtbarmachen, als Empowerment.“
Noch länger als über die Sinnhaftigkeit der Aktion habe ich aber über eine andere Frage nachgedacht: Wo beginnt sexuelle Übergriffigkeit? Nutzen jetzt auch Frauen diesen Hashtag, denen mal auf der Straße hinterhergepfiffen wurde? Beginnt es bei anzüglichen Bemerkungen oder fühlen sich hier vor allem Menschen angesprochen, die gegen ihren Willen angetatscht wurden oder schlimmeres? Klar ist: Belästigung kann natürlich auch verbaler Natur sein. Genauso klar ist, dass ein sexistischer Spruch nicht mit einer Vergewaltigung gleichzusetzen ist.
Deswegen, dachte ich, kann ich mich doch nicht mit Frauen auf eine Stufe stellen, denen etwas wirklich Schlimmes passiert ist, wenn jemand im Club mal an den Hintern gefasst wurde. Aber da muss ich mit mir selbst hart ins Gericht gehen: Muss es denn hier darum gehen, was irgendwie blöd und was richtig schlimm ist? Und kann es nicht sein, dass eine Situation, in der ich mich nicht ernsthaft belästigt gefühlt habe, von einer anderen Frau als extrem unangenehm empfunden wurde? Ein fieser Spruch vielleicht? Sie davon vielleicht sogar nachhaltig beeinflusst wird? Und bin ich vielleicht einfach viel zu nachlässig geworden für sexistische Probleme, weil ich selbst davon bisher nicht betroffen war – oder nur glaubte, nicht betroffen zu sein?
Gibt es den Unterschied zwischen Tag und Nacht?
Insbesondere die Diskrepanz zwischen meinem Nacht- und meinem Alltagsleben ist ein schmaler Grat. Wenn mich ein hübscher Typ in einem Club schon nach kurzem Quatschen in den Arm nimmt oder mir sogar sagt, dass er mit mir schlafen will, empfinde ich das nicht selten als Kompliment. Zumindest regt es mich nicht auf, und das ist bei meinen Freundinnen ähnlich. Würde irgendein Typ, der sich nicht in meiner Zielgruppe bewegt, in einem völlig anderen Kontext dasselbe tun, fände ich es vermutlich unangenehm bis widerlich. Vielleicht ist das ein bisschen paradox. Oder unfair.
Da mag es auf den ersten Blick verständlich erscheinen, dass manche Männer nun sagen: Na, wie soll ich denn nun mit den Frauen umgehen, darf ich ihnen nicht mal mehr ein Kompliment machen? Doch, natürlich. Vielleicht lässt sich das Ganze gut an einem Beispiel illustrieren, das eine andere Freundin heute gepostet hat. Ein ehemaliger Vorgesetzter sagte: „Dein Arsch sieht so knackig aus in der Jeans, das muss ich jetzt einfach machen.“ Und klatschte ihr auf den Hintern. Ist das okay? Natürlich nicht!! Jetzt kann man sich darüber streiten, ob derselbe Mann ein einfaches Kompliment zu ihrem Outfit hätte so rüberbringen können, dass es sich nicht anfühlt wie „er spricht von meiner Jeans, meint aber eigentlich meinen Arsch“. Das wäre aber allemal die bessere Variante gewesen.
Wie gesagt, ein schmaler Grat. Aber irgendwie will ich den Glauben daran haben, dass doch jeder Mensch ein Gefühl dafür haben muss, wann er einen anderen Menschen unangenehm anspricht oder gar anfasst. Chefs sollten sich hier, das beschließe ich jetzt einfach mal, ganz zurückhalten. Egal, ob Mann oder Frau. Denn das Machtgefälle in vielen Unternehmen verbietet es einfach, Kolleginnen und Kollegen auf einer fragwürdigen Mann-Frau-Flirtebene zu begegnen.
Unter Kollegen, die auf der Schwelle zu befreundet sein stehen, kann das schwieriger sein. Aber kann nicht auch hier die einfache Regel gelten: Mach nichts, was dem Gegenüber unangenehm sein KÖNNTE? Und wenn ein dummer Spruch dann doch mal rausgerutscht ist, man das ach so enge Verhältnis vielleicht doch überschätzt hat und die Kollegin peinlich berührt ist, weil man ihr körperlich zu nah gekommen ist – kann man sich dann nicht verdammt nochmal entschuldigen und das Ganze einfach künftig sein lassen?
Erkennt die Signale!
Signale erkennen, nie von sich auf andere schließen, die Menschen anschauen, wenn man mit ihnen spricht oder ihnen näher kommen möchte – kann man sich nicht wenigstens mal darauf einigen? Ich möchte mich als Frau da gar nicht ausschließen. Ich umarme gerne Menschen die ich mag, und wenn ich das Gefühl habe, wir mögen uns beide so richtig, haue ich den Leuten auch mal auf den Hintern, egal ob Mann oder Frau. Ein Kollege von mir wird nicht gerne angefasst, wenn er die Person nicht gut kennt. Deswegen gehe ich auf ihn viel zurückhaltender zu als auf andere Kollegen, obwohl wir uns mittlerweile ganz gut kennen. Wieso sollte ich das Risiko eingehen, dass ihm meine Nähe unangenehm ist?
Okay, vielleicht schweife ich jetzt zu weit ab. Trotz allem schreibe ich dazu so viel, weil ich bei all dieser Debatte vor allem mein eigenes Bewusstsein schärfen will. Ich selbst hätte schon in manchen Situationen sagen müssen: Stop, das ist nicht witzig! Schnauze, das ist sexistische Scheiße! Ich hätte dafür sorgen müssen, dass die Freundin, die vom Vorgesetzten auf den Hintern gehauen wurde, viel mehr Unterstützung bekommt – auch wenn wir nicht im selben Büro arbeiten. Und ich hätte dafür sorgen müssen, dass der Typ, der mir auf einer Party offensiv zwischen die Beine gefasst hat, als ich mit einem anderen Mann rumgemacht habe, aus dem Club fliegt. Denn das HAT mir etwas ausgemacht, ich fand es widerlich. Ich habe mich sogar noch mit dem Typen, mit dem ich dort war, darüber gestritten. Der wollte das Ganze nämlich als „ist doch nicht so schlimm auf so einer Party“ abtun. Ja, das war eine sexpositive Party. Aber gelten hier andere Regeln als im Alltag? Ist es okay, mich einfach anzufassen, ohne mich zu fragen oder wenigstens Blickkontakt mit mir aufzunehmen, nur weil ich halbnackt bin? Nein.
Ich hoffe, #MeToo sorgt in vielen Freundes- und Kollegenkreisen für offene, konstruktive Debatten, in denen auch Männer Fragen stellen, von mir aus Unsicherheiten äußern – und am Ende alle ein bisschen mehr nachdenken, bevor sie in das leider immer noch so typische „hab dich doch nicht so“ verfallen. In die Reihe derer, die von den Erfahrungen anderer noch viel lernen können, schließe ich mich ganz klar mit ein.
Deswegen sage ich heute mal:
Auf die Aufmerksamkeit, auf das Nachdenken!
Eure Mascha
Ich bin Mascha (32) und seit rund anderthalb Jahren Single. Nach einer langen Beziehung habe ich endlich Zeit mich ein bisschen auszuleben, die Sau raus und nichts anbrennen zu lassen. Insgeheim warte ich aber natürlich auf meinen bärtigen Ritter, der mit seinem Pferd in den Hinterhof meiner Neuköllner Wohnung galoppiert und mit dem ich ein, zwei Mate auch mal ohne Wodka trinken kann. Bis es soweit ist, betätige ich mich ab sofort im Auftrag aller Berliner Singles als Versuchskaninchen, teste mich durch diverse Datingportale, -events und -partys. Und lasse auch sonst nichts unversucht, um Libido und Liebe auf die Sprünge zu helfen. Ausgang ungewiss. Was soll ich als nächstes ausprobieren? Schreib an: redaktion@qiez.de