Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger von Robert Nippoldt und Boris Pofalla ist „kein Geschichtsbuch, sondern ein Spaziergang, ein Flanieren durch eine Zeit“, wie sich das wunderschön illustrierte Buch so treffend selbst beschreibt. Neben den großen Berliner Legenden Albert Einstein, Marlene Dietrich oder Skandalnudel Anita Berber erzählt es auch von Personen der Zeitgeschichte wie dem rasenden Reporter Egon Erwin Kisch, Boxlegende Max Schmeling oder dem Verleger Rudolf Ullstein. Doch nicht nur Menschen, auch Gebäude prägten die Stadt dieses Jahrzehnts. Das riesige Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz war damals zum Beispiel ein Symbol der modernen Großstadt.
„Die Berliner Nacht war nun das Versprechen, das der Tag nicht einlösen konnte, das Andere des Alltags“ – so führt das Buch den Leser in die Welt des Berlins der 20er Jahre ein. Und genau weil die Realität, die kurze Zeit des Friedens in der Weimarer Republik, so hart und fragil war, stürzten sich die Menschen ins glitzernde Nachtleben. Hier hofften sie, den Alltag zu ertragen und ihr Elend für kurze Zeit zu vergessen. Diese Intensität des Lebens, das Zelebrieren des Hier und Jetzt gerade unter dem großen Druck des Überlebens brachte – aller Widrigkeiten zum Trotz – große Persönlichkeiten hervor. Und auch Fortschritte, zumindest für Frauen: „Tags berufstätig und abends tanzbereit“ – der emanzipierten „neuen Frau“, die rauchte, Liebhaber hatte und arbeitete, widmet der Bildband ein eigenes Kapitel. Und natürlich darf auch die berühmte Mode der 20er Jahre nicht fehlen!
Mittendrin in den 20ern
Der Bildband Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger entwickelt einen richtigen Sog: Das mag an den riesigen Bildern liegen – das wuchtige Buch hat Laptop-Größe – oder an den spannenden Zitaten von Berühmtheiten der 20er über andere Berühmtheiten dieser Zeit. Es fühlt sich an, als würde man im Kaffeehaus sitzen und dem neuesten Klatsch und Tratsch lauschen und immer wünscht man sich beim Lesen ein wenig selbst hinein in diese glamouröse Epoche.
Im Vergleich zu den Wilden Zwanzigern erscheint einem da die Gegenwart gleich ziemlich langweilig. Und das, obwohl das Buch durchaus auch die damalige Scheinwelt entzaubert: Neben ausschweifenden Festen wird auch Kriminalität, Armut und Drogenmissbrauch thematisiert. Aber sogar das scheint im verschwommenen Licht der Vergangenheit eher aufregend als abschreckend zu sein. Ein schönes Gimmick ist außerdem die Musik-CD am Ende des Buches mit Klassikern aus der Zeit: So rücken die Goldenen Zwanziger gleich noch näher.
Wer nach der Lektüre des Buches allzu große Melancholie verspürt, dem sei Woody Allens Film Midnight in Paris
Am 14. Dezember um 19 Uhr gibt es für Neugierige eine Vernissage zur Ausstellung des Bildbands Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger