Berliner Persönlichkeiten zeigen ihren Kiez

Der Graf und sein Schloss

Perfekter Look: Lo Graf von Blickensdorf stilecht mit Kavaliersstock und Einstecktuch im Café Kunstpause.
Perfekter Look: Lo Graf von Blickensdorf stilecht mit Kavaliersstock und Einstecktuch im Café Kunstpause.
Was tun, wenn der Erfolg plötzlich ausbleibt und das alte Leben ein Scherbenhaufen ist? Ganz einfach: Der ehemalige Drehbuchautor Lo Blickensdorf hat sich mit Anfang 60 selbst zum Grafen gemacht – und ist heute aus der Berliner Society nicht mehr wegzudenken. Wir haben mit dem sympathischen Selfmade-Adligen Lo Graf von Blickensdorf über die Magie des Äußeren, seine erste große Liebe und die Blumen im Schlosspark Charlottenburg gesprochen.

Ende 2007 wollte im Leben von Lo Blickensdorf einfach so gar nichts mehr klappen. Beruflich gab es für den ehemaligen TV-Schreiber (u.a. SOKO Leipzig und Harald Schmidt) aufgrund neuer Sendeformate und des hohen Konkurrenzdrucks nicht mehr viel zu tun, die Frau war weg und auch der Erfolg als Maler wollte sich einfach nicht einstellen. Da entwickelte sich, was als kleine Spielerei begann, plötzlich zur Rettung. „Ich habe damals ein Buch gelesen, in dem es darum ging, wie man sich als Künstler vermarktet und dass es ganz legal ist, sich einen Adelstitel als Künstlernamen zuzulegen“, erinnert sich Blickensdorf. Um seine alten Bilder besser verkaufen zu können, entwarf der damals 55-Jährige kurzerhand neue Visitenkarten und bastelte sich ein eigenes Wappen.

Das Ganze wurde schnell zum Selbstläufer: mit besagtem Wappen, Kavaliersstock, klassischem Dandy-Look – den von Blickensdorf in den kommenden Jahren immer mehr perfektionierte – und einem sicheren Gespür für die eigene Vermarktung mauserte sich „der Graf“ langsam zu einer echten Berühmtheit. Dabei gilt in seinen Augen: „Die Umwelt hat mich zum Grafen gemacht. Die Leute wollen mich einfach so sehen.“ Vor seiner Verwandlung entsprach Blickensdorf übrigens eher dem typischen Künstlerklischee – schwarze Klamotten und linkspolitische Einstellung inklusive.

30 Jahre im Klausenerplatz-Kiez

Seinem gesellschaftlichen Aufschwung folgte interessanterweise auch der wohnliche. Stück für Stück, oder besser: Stock für Stock, ging es in Blickensdorfs angestammtem Haus im Klausenerplatz-Kiez bergauf – bis er vor wenigen Wochen endlich das Dachgeschoss bezog und nun einen „herrlichen Ausblick“ genießen kann. Seit Anfang der 80er Jahre lebt der Selfmade-Graf übrigens schon in dem Gebäude. „Dort bin ich der Liebe wegen hingezogen. Und zwar wegen der schönsten Frau der Welt: der Büste der Nofretete, die damals noch im Ägyptischen Museum gegenüber vom Schloss Charlottenburg ausgestellt wurde“, erzählt er. „Für mich war es damals ein Geschenk, so nah bei ihr wohnen zu dürfen!“

Gefühlt hat der gebürtige Münsteraner aber noch einen zweiten Wohnsitz in Berlin: das Schloss Charlottenburg selber. „Ich sitze oft im Schlosspark auf meiner geheimen Bank und stelle mir vor, das alles würde mir gehören. Nur eben ohne die Sorgen und Finanzen, die sonst an solch einem herrlichen Anwesen hängen“, lacht der 63-Jährige, der im Park sogar schon heimlich ein paar Schmetterlingsblumen gepflanzt hat. „Im Sommer geht es an meinem Plätzchen ganz herrlich zu – alles ist voller Schmetterlinge“, schwärmt er. Doch auch der Rest Alt-Charlottenburgs ist für den Grafen mittlerweile durch und durch zur Heimat geworden.

„Hier ist es wahnsinnig romantisch. Der Kiez ist noch ein Stück altes Berlin ohne zu viel Tourismus, ein Ort, an dem Geschichte gelebt wird“, findet er. Nachdem das Viertel nach der Wende zunächst „ausgeblutet“ sei, viele Kneipen und Geschäfte hätten schließen müssen, beobachtet von Blickensdorf nun wieder einen echten Aufschwung rund ums Schloss. „In zehn Jahren ist das hier ein Szenekiez, hat mir ein Makler verraten“, schmunzelt er. Schließlich braucht, wer sich nach der Großstadt sehnt, vom geschichtlich geprägten Wohngebiet nur ein paar Minuten bis zum Trubel am Kurfürstendamm.

Von Blickensdorfs‘ Kiez-Tipps

Zu von Blickendorfs Lieblingsecken im Kiez gehören, abgesehen vom Schlosspark, der Lietzenseepark, in dem er morgens immer gerne eine Runde joggt, der über 30 Jahre alte Brotgarten, das erste Vollkornbäcker-Kollektiv Deutschlands, und das Café Reet mit seiner „inspirierenden Ausstrahlung“. Hier hat von Blickensdorf auch einen Großteil seines 2009 erschienenen Bestsellers Werden Sie doch einfach Graf! geschrieben. Auch unser Treffpunkt, das Café Kunstpause liegt ihm am Herzen. Und zwar nicht nur, weil Nofretete früher nur eine Wand weiter ausgestellt war. „Durch die große Glasfassade ist es hier immer schön offen und man kann jede Jahreszeit genießen. Außerdem schmeckt der Kuchen wirklich hervorragend“, erzählt der Graf, der sogar auf einer Postkarte des Museumscafés abgebildet ist.

Für alle Radfahrer hat von Blickensdorf, der zwar „spät mit dem Sport angefangen“ hat, ihn aber heute als echte Geheimwaffe gegen das „frühe Altern“ nutzt, noch einen speziellen Tipp: „Ich finde es großartig, dass man heute vom Schlosspark am Spreeufer entlang bis zum Hauptbahnhof ganz ohne Straßenverkehr und mitten im Grünen fahren kann. Hin und zurück sind das etwa 10 Kilometer – eine tolle Tour!“, schwärmt der 63-Jährige, der nicht zuletzt durch seine Lesereisen nicht mehr nur in gut betuchten Kreisen eine kleine Berühmtheit ist. Auch bei den Boulespielern auf der Schlossstraße oder sogar im hippen Kreuzberg kennen ihn viele als „den Grafen“. „Gerade bei Jugendlichen kommt mein Aussehen oft ziemlich gut an. Die finden das dann cool und rufen mir nach ‚Ey! Ein geiles Bärtchen hast du!'“, schmunzelt von Blickensdorf.

Wer mehr über den Grafen erfahren möchte, kann ihm auf seinem Blog http://blaues-blut.blogspot.de durch Berlin folgen. Außerdem ist ein zweites Buch in Arbeit. Man darf gespannt sein!

Café Kunstpause in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schloßstr. 70, 14059 Berlin

Telefon 030 77008939

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