Asiatisch – da ist immer noch was möglich. Insbesondere die vietnamesische Küche hat sich in Berlin in einem kaum mehr überschaubaren Maß breitgemacht, während Thai ganz gut läuft, China und Japan sich nicht weiter entwickeln und Korea scheinbar kein eigenständiges Profil gewinnt, jedenfalls keines, das überzeugt. Neben der Küche kommt es immer mehr darauf an, dass ein Restaurant eine Geschichte zu erzählen hat und damit auch Gäste anlockt, denen das Essen eher egal ist.
Deshalb verbeuge ich mich vor der Cleverness, mit der im Februar die „Long March Canteen“ eröffnet wurde. Eigentlich handelt es sich um einen Ableger des „Yumcha Heroes“ in Mitte, das Konzept aber ist ein Neues: Die pfiffige Architektur spielt mit dem Klischee der Opiumhöhle und unserer Vorstellung von einer chinesischen Kantine. Doch das vorgegaukelt Authentische wird bereits beim Eintreten durch derben Bluesrock gebrochen.
Dunkel – und gutes Licht auf den Tellern, bitte, geht doch! Und die von oben beleuchteten Dampfschwaden über der Dumpling-Kochstation inmitten des Raums sehen cool aus. Die Außenfassade des Eckhauses wirkt dagegen wie ein Sprayerhauptquartier, sie stammt noch vom zuvor hier ansässigen „Eckstück“.
Bestechender Geschmack
Eignet sich die von tausend Lügen überlagerte kommunistische Legende des langen Marsches eigentlich zu spöttischer Ausschlachtung? Das ist eine Frage des Geschmacks, die ich hier zum Glück nicht beantworten muss. Das Essen selbst kann ich hingegen restlos loben.
Das Mahl beginnt damit, dass ein Wagen mit kalten Vorspeisen herangerollt wird, die fast durchweg keinem Klischee folgen, sondern eher den Brückenschlag zur westlichen Küche anstreben: Oktopus mit Kohlrabischeiben, rohe Thunfischwürfel auf roten Beten. Es gibt auch Traditionelles wie Salat von tausendjährigen Eiern, geschmorte Schweinerippchen oder Seltsames wie Qualle mit Nashi-Birne und Koriander (pro Teller von 4 bis 8 Euro).
Die Dumplings schmecken hervorragend. Der Teig könnte sicherlich noch dünner sein, aber das ist ein Tribut an die Vorfertigung. Ausgezeichnet sind die sehr aromatischen Füllungen, die nichts mit den üblichen Fleischklopsen zu tun haben. Schwein mit Szechuan-Pfeffer und Ingwer (Shanghai), Garnelen mit Wasserkastanien (Prawns) oder Rindfleisch mit Sellerie und Lauchzwiebeln – alles ist bestens gewürzt und kräftig im Geschmack (je vier Stück 5 bis 8 Euro).
Angenehm kalkuliert
Eine ganze Reihe von intelligent portionierten warmen Speisen rundet das Programm ab. Mein Favorit sind die Hähnchenspieße mit Wasserkastanien und Lauchzwiebeln in einer köstlichen Limetten-Honig-Soße (6,50 Euro), während der gedämpfte Pak Choi mit Ingwer und Soja eher langweilig schmeckte (5,50 Euro). Angenehme Bravheit strahlte die Ente „Peking Style“ aus, saftiges, etwas zähes Fleisch mit den klassischen Beigaben, Pfannkuchen, Gemüsestreifen, Hoisin-Soße (15 Euro).
Der Service ist noch merklich dabei, sich zu sortieren und verlangt aufgeklärte und nachsichtige Gäste. Die kleine Getränkekarte bietet ein paar anständige Weine; für den sehr ansprechenden badischen Riesling „Feigenwäldchen“ vom Weingut Kopp sind 28 Euro zu zahlen, das ist er wert. Durch diese durchweg angenehme Kalkulation ist es schwer, zu zweit mehr als 100 Euro auszugeben, und so amüsant bewirtet wird man andernorts auch nicht.
Das Vergnügen lässt sich vermutlich noch dadurch steigern, wenn man in einer größeren Gruppe kommt und dann an den runden Tischen mit dem Drehaufsatz alles probiert, was die Küche zu bieten hat. Allzu ausgelassene Gelage werden von den unbequemen Sitzbänken verhindert. Aber der lange Marsch musste einst ja auch weitergehen.
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