Der Maklerbrief an Wohnungseigentümer rund um die neue Registrierungsstelle für Flüchtlinge an der Wilmersdorfer Bundesallee schürt Ängste: „Was wird Ihre schöne Wohnung in einem halben Jahr noch wert sein?“, schreibt Geschäftsführer Uwe Fenner von der Firma Stadt & Raum Immobilien – und gibt selbst die Antwort: Als Marktbeobachter wisse man, dass sich „die Wohnungspreise in der Nachbarschaft solcher Großeinrichtungen im Nu halbieren“.
Fenner argumentiert mit „Gewalttaten in Flüchtlingslagern“, Einbrüchen und Diebstählen, er warnt vor „vielen, insbesondere jungen Männern, die nichts zu tun haben, weil unsere Behörden so langsam sind“. Nachrichten darüber gingen „jeden Tag durch die Presse“, behauptet er und rät dringend: „Verkaufen Sie JETZT und zwar sofort.“ Doch das in den vorigen Tagen versandte Schreiben entwickelt eine ganz andere Wirkung als erhofft. Entsetzte Anwohner wandten sich an den Vize-Fraktionschef der CDU im Abgeordnetenhaus, Stefan Evers, der seinen Wahlkreis in Wilmersdorf hat, und an den Bezirksbürgermeister in der City West, Reinhard Naumann (SPD). Beide reagierten nun mit scharfer Kritik. Fenner selbst entschuldigte sich am Mittwoch.
„Dumpfe rechte Propaganda“
„Mit dumpfer rechter Propaganda wird Stimmung geschürt, werden Ängste und Sorgen instrumentalisiert zu Zwecken der Geschäftemacherei“, sagt Evers. Der Brief sei „schlimmer als NPD- und AfD-Parolen, das ist übelste Stimmungsmache unter dem Deckmäntelchen der seriösen Maklerfirma“. Bürgermeister Naumann nennt das Schreiben „schäbig und pervers“. Der Immobilienunternehmer verfolge seine Interessen „mit falschen Behauptungen und Vorurteilen“ und agiere „im Gewande eines Biedermanns“ als gesellschaftspolitischer „Brandstifter“. Obwohl in den vorigen zwei Jahren einige Flüchtlingsunterkünfte im Bezirk entstanden seinen, gebe es „keinen signifikanten Anstieg der Kriminalität“.
In Fenners Brief an die Anwohner steht auch, das Gebäude der neuen Registrierungsstelle in der früheren Landesbank Berlin (LBB) an der Bundesallee eigne sich für „die Unterbringung von Tausenden Flüchtlingen“. Doch eine Notunterkunft ist an dieser Stelle nicht geplant, wie die Sozialverwaltung bekräftigte. Es sei „geschmacklos“ und „schockierend“, wie der Makler versuche, „mit Ängsten und Verleumdungen die Situation auszunutzen, um Objekte zu akquirieren“, sagte der Landesvorsitzende des Rings Deutscher Makler (RDM), Markus Gruhn. Es sei „überhaupt nicht belegt, dass Immobilienpreise in der Nähe von Einrichtungen für Flüchtlinge fallen“.
Beim Immobilienverband Deutschland (IVD) Berlin-Brandenburg findet der Vorsitzende Dirk Wohltorf das Vorgehen „unfassbar“ und sieht darin auch einen „Betrug“. Denn Fenner schrieb auch, bisher wüssten nur wenige Menschen vom voraussichtlichen Wertverlust der Wohnungen. Noch habe er Kunden, die bereit seien, Verkäufern den vollen Preis zu zahlen. Dazu sagt Wohltorf, ein Makler sei verpflichtet, seine Kunden über Risiken aufklären. Der IVD sehe zwar keinen Wertverlust im Innenstadtbereich, sollte die Behauptung aber stimmen, müsse der Makler potenzielle Käufer warnen.
Politisch ist der Makler in der „Allianz für Aufbruch und Fortschritt“ aktiv
Uwe Fenner ist auch Stil-Berater. Der 72-Jährige betreibt ein „Institut für Stil und Etikette“, eine Zeitung erklärte ihn vor Jahren zum „Benimm-Papst“. In Potsdam organisierte Fenner einst gesellschaftliche Events. Zu seinen „Jahreszeitengesprächen“ kamen Landespolitiker und auch Prominente wie Nadja Auermann und Wolfgang Joop. In Berlin ließ sich Fenner soeben zum Vize-Vorsitzenden im neuen Landesverband der „Allianz für Aufbruch und Fortschritt“ (Alfa) wählen. Das ist die neue Partei des Gründers der „Alternative für Deutschland“, Bernd Lucke, der die AfD wegen rechtspopulistischer Tendenzen verlassen hatte.
Fenner sagte am Mittwoch, er habe 150 Exemplare seines Briefs verteilen lassen und die Aktion nun gestoppt. „Ich bitte höflich und herzlich um Entschuldigung, wenn ich in diesem Schreiben die Gefühle für Anstand und Unterstützung und Erbarmen für die Flüchtlinge verletzt habe.“ Er sei „für eine vernünftige, an den Regeln des Grundgesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention klar orientierte Unterstützung der Flüchtlinge“. Schließlich seien er, seine Eltern und seine Brüder nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Flüchtlinge gewesen. Das Problem seien nicht die Asylbewerber, sondern die „unerhörte, amtsschimmelhaft-gemeine Praxis“ der Behörden.
Polizei sieht keinen Kriminalitätsanstieg durch Flüchtlingsheime
Polizeisprecher Thomas Neuendorf stellte klar: „Es ist nicht erkennbar, dass sich nach Eröffnung der Heime die allgemeine Kriminalitätslage vor Ort verschlechtert hat“. Das habe bereits 2013 und 2014 eine Vergleichsuntersuchung gezeigt. Untersucht wurden drei Unterkünfte in Charlottenburg, Tiergarten und Lichtenberg. „Die Kriminalität im Umfeld hat sich nicht geändert beziehungsweise bewegt sich in der normalen Schwankungsbreite für ganz Berlin“, sagt Neuendorf. Sein Fazit: „Die überall und immer wieder erhobenen Behauptungen können wir nicht bestätigen.“
Lediglich am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit ist laut Neuendorf ein deutlicher Anstieg der Kriminalität festzustellen. 2014 seien auf dem dortigen Behördengelände und den angrenzenden Straßen „fast keine Straftaten“ registriert worden – in den ersten acht Monaten des Jahres 2015 wurden nun 58 Körperverletzungen, 104 Betrugsfälle und 55 Fälle von Urkundenfälschung aktenkundig. Neuendorf führt dies darauf zurück, dass der Andrang viel höher als in den Vorjahren ist: „Jeden Tag treffen da Hunderte Menschen ein. Natürlich gibt es in der räumlichen Enge Stress.“ Die Straftaten würden aber „ganz offensichtlich untereinander“ begangen. Moabiter Anwohner seien also kaum von der Kriminalität betroffen.