Zille wurde 1858 im sächsischen Radeburg geboren. Im Alter von neun Jahren zog er mit seinen Eltern nach Berlin, wo er in ärmlichen Verhältnissen und unter schlechten sozialen Bedingungen aufwuchs. Als Kind arbeitete er unter anderem als Zeitungsjunge und gab seinen kärglichen Lohn für Zeichenunterricht aus. Während dieser Zeit ermunterte ihn sein Lehrer dazu, den Beruf des Lithographen zu wählen. So durchlief der junge Zille mehrere Ausbildungen und Schulen, die dem Perfektionisten schließlich eine Festanstellung an der „Photographischen Gesellschaft Berlin“ einbrachten. Dort war er dreißig Jahre lang beschäftigt, arbeitete jedoch weiterhin an seinen Milieu-Zeichnungen und fand schließlich zu dem für ihn typischen „Zille-Strich“. Auch mit zunehmendem Bekanntheitsgrad galt seine Zuneigung dem Proletariat, dem Milieu, aus dem er stammte und mit dem er sich zeitlebens verbunden fühlte.
Graue, lichtlose Hinterhöfe der Gründerzeit – das war das Umfeld, in dem Zille aufwuchs und das sein künstlerisches Werk prägte. Die elenden Verhältnisse in den Berliner Arbeitervierteln wurden Vorlage für Skizzen, die größtenteils einen humoristischen Anstrich haben, sich jedoch immer mit der Tragik und dem Unglück der Menschen in seinem „Milljöh“ auseinandersetzen. Einzelne Beobachtungen und Bilder formte Zille zu kleinen Anekdoten und Geschichten, die Komik und Realismus verbinden, jedoch nie das Außergewöhnliche, sondern stets den Normalzustand abbilden. Für Zille galt es, den Ernst der Lage als Witz darzustellen: „Ich bin kein Maler, nur ein Zeichner. Ein Witzblatt-Zeichner.“
Szenen aus der „Berliner Unterwelt“
Die Dauerausstellung im Nikolaiviertel besteht hauptsächlich aus einer großen Sammlung von Zille-Originalen, die vor allem um die Jahrhundertwende entstanden. Etwa 50 Zeichnungen aus dem Berliner Alltagsleben sind zu sehen, Szenen der Armut, der sozialen Missstände, aber auch der kleinen Freuden. Sie tragen Titel wie „Frauen und Kinder“, „Schwere Zeiten“, „In der Ferienkolonie“ oder „Krach in der Destille“. Vor allem Kneipen waren ein wichtiger Ort für Zilles Milieustudien. Hier fand er das Leben, das er zeichnen wollte: Geschichten über die „Berliner Unterwelt“, den sogenannten „Fünften Stand“ – Trunkenbolde, Bettler und Huren, die er meist heimlich unter dem Tisch porträtierte, damit die Menschen nicht das Gefühl bekamen, dass er sich an ihrem Elend bereichern wollte.
Zilles Liebe und Empathie galt vor allem den Kindern des „schmutzigen Berlins“. Für ihn waren sie unschuldige Wesen, ins Milieu hineingeboren, und er malte sie authentisch, so wie er sie sah: dreckig, nackt, zerlumpt und meist mit einem kessen Spruch auf den Lippen. Dabei ließ Zille „seine Kinder“, wie er sie nannte, selten Banalitäten daherreden. Ihre Aussagen sind vielmehr kindlich-philosophische Betrachtungen der Zustände in den Armenvierteln.
In einem gesonderten Raum befinden sich einige Ausgaben des 1921 erschienenen Werks „Hurengespräche“. Dieser Zyklus, dessen Zeichnungen zu großen Teilen ins Pornografische gehen, brach zur damaligen Zeit mit allen Tabus und warf aufgrund der gewagten Sujets zahlreiche Kontroversen auf. Unter anderem werden Vergewaltigung, Inzest und detailgetreue Abbildungen des Geschlechtsakts dargestellt. Heute geht man davon aus, dass „Hurengespräche“ zwar stark durch die vorherrschenden Verhältnisse jener Zeit geprägt, jedoch eher als bildkünstlerisch-literarisches Werk denn als Dokumentation zu verstehen ist. Zilles liberale Zeitgenossen hingegen sahen das Werk gleichermaßen als bedrückende Anklage sozialer Missstände an.
Die Ausstellung setzt sich des Weiteren aus einer großen Zahl von Fotografien zusammen. Die meisten stammen von Zille selbst und dienten ihm als Grundlage für seine Zeichnungen. Vor allem Szenen aus den Freibädern der Seen rings um die Stadt sind zu sehen, Eindrücke, die Zille in seinem Buch „Rund um‘s Freibad“ verarbeitete. Besonders in diesem Werk fällt ein Charakteristikum des „Zille-Strichs“ auf: die voluminöse Darstellung des weiblichen Körpers.