In der weltoffenen Metropole Berlin gab es vor der Zeit des Nationalsozialismus so viele jüdische Ärzte wie nirgendwo sonst in Deutschland. Fast die Hälfte aller Kassen- und Krankenhausärzte war jüdisch und auch an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität stellten sie als Habilitierte mit Lehrbefugnis, Privatdozenten und außerordentliche Professoren die Hälfte aller Lehrenden. Hauptamtliche Hochschullehrer oder Staatsbeamte zu werden stand ihnen jedoch nicht offen.
Um die Dreißiger Jahre änderten sich die Bedingungen drastisch und das nicht erst mit der Machtergreifung Hitlers. Schon vorher verschlechterte sich die Stimmung und nationalsozialistische Studenten, welche von der Mehrheit ihrer Kommilitonen unterstützt wurden, erschwerten die Lehrtätigkeit für jüdische Dozenten und machten sie bald ganz unmöglich. An der Charité entließen die Direktoren und Institutsleiter dann schon einen Tag vor Inkrafttreten des Berufsbeamtengesetzes vom April 1933 eigenständig die jüdischen Mitarbeiter. Nach der entgültigen Entziehung der Lehrbefugnis und der verstärkten nationalsozialistischen antisemitischen Verfolgung flohen viele ins Exil – oder wurden deportiert und in Konzentrationslagern ermordet.
Dringend notwendige Aufarbeitung
In langwieriger Forschungsarbeit wurden mittlerweile 180 Portraits vertriebener ehemaliger MitarbeiterInnen zusammengetragen. Darunter befinden sich neben den aus rassistischen Gründen Entlassenen auch politisch Verfolgte, etwa Mitglieder der SPD und KPD.
Eine neue Gedenksäule erinnert mit Portraits seit kurzen an den Kinderarzt Heinrich Finkelstein, den Chirurgen Moritz Borchardt, den Physiologen Wilhelm S. Feldberg, den Rechtsmediziner Paul Fraenckel, den Radiologen Paul Lazarus und an die Krankenschwester Elisabeth Wucke.
Auf der Website des Projekts „GeDenkOrt. Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ können ihre Kurzbiografien nachgelesen werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich online über vergangene und geplante Aktivitäten des Projekts, Orte des Geschehens und des Gedenkens sowie über die Rolle der Charité im Nationalsozialismus zu informieren.
Schon in einer 2006 veröffentlichten Forschungsarbeit legten Sabine Schleiermacher und Udo Schagen vom Institut für Geschichte und Medizin der Charité die schweren Verwicklungen des Klinikums in die Verbrechen des nationalsozialistischen ‚Gesundheits’systems dar. Einen Lehrstuhl für Rassenhygiene richtete die Institution schon in der Zeit der Weimarer Republik ein, unter den Nazis kam es dann zu Zwangssterilisationen und Versuchen an Menschen. Hitlers „Begleitarzt“ Karl Brandt war Chirurg an der Charité und wurde später in den Nürnberger Ärzteprozessen (1946-47) für den systematischen Mord an über 100.000 Menschen mit Behinderung, darunter 5.000 Kinder, verurteilt.
Nicht das einzige dunkle Kapitel der Charité
Vor etwas mehr als zwei Jahren kam die Charité endlich einer weiteren geschichtsrelevanten Forderung nach. Der Direktor des Medizinhistorischen Museums Thomas Schnalke gab 20 Schädel von ermordeten Angehörigen der Volksstämme Herero und Nama an Namibia zurück. Nach der Niederschlagung der Aufstände gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika wurden die Gebeine für die Verwendung in der Rassenforschung nach Berlin geschickt.
Bei der Übergabe kam es zu einem Eklat: Zwar gestand die Charité die (Mit-)Schuld der deutschen Wissenschaft an den Verbrechen ein und bat um Entschuldigung, von Seiten der Bundesregierung – vertreten durch die damalige Staatsministerin Cornelia Pieper – wurde allerdings nur um Versöhnung mit Namibia gebeten.
Alle Gedenksäulen stehen vor dem Lehr- und Forschungszentrum der Medizinischen Fakultät CharitéCrossOver (CCO) am Campus Charité Mitte, Charitéplatz 1 in 10117 Berlin, Geländeadresse: Virchowweg 6. Mehr Infos zum Projekt „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ findest du hier.