Wenn der Wedding ein eigener Ort wäre, lägen das Bayer-Gelände und der Park am Nordhafen am Rande der Stadt. Doch diese Gebiete befinden sich ja nicht an der Peripherie, sondern mitten im Herzen einer Millionenstadt. Und so rücken auch diese Zonen in den Sog der wachsenden Metropole. In unmittelbarer Nachbarschaft des Wedding drehen sich schon die Baukräne; das ganze Gebiet rund um die Brache des Containerbahnhofs Heidestraße hat sich in eine einzige große Baustelle namens Europacity verwandelt.
Auf 40 Hektar entstehen dort in kurzer Zeit 3.000 Wohnungen und 15.000 Büroarbeitsplätze, das Ganze so dicht bebaut wie in klassischen Altbauquartieren. Am Nordhafen, also der seeartigen Verbreiterung des Berlin-Spandauer-Schiffahrtskanals, grenzt das Entwicklungsgebiet Heidestraße unmittelbar an den Wedding. In Sichtweite der Sellerbrücke an der Pankemündung steht eines der wenigen Gebäude, das die Zeiten überdauert hat: der rote Kornversuchsspeicher. Der Bau aus dem Jahr 1898 diente einst der wissenschaftlichen Erforschung der Lagerung großer Getreidemengen (bis zu 1130 Tonnen). Das denkmalgeschützte Gebäude soll nun das Wahrzeichen des „Wasserstadt Mitte“ genannten Abschnitts der Europacity werden. Oben entstehen Büros, unten sollen Begegnungsorte liegen, die beispielsweise künstlerisch genutzt werden.
Aus Fehlern der Anfangszeit, als rund um den Hamburger Bahnhof nur Wohnungen für ein zahlungskräftiges Publikum gebaut wurden, hat man inzwischen gelernt. 25 Prozent der jetzt entstehenden Wohnungen sollen öffentlich gefördert sein – so will die Stadt eine gewisse soziale Mischung sicherstellen. Bei der Infrastruktur darf man allerdings skeptisch sein: Zwar sind einige Kitas eingeplant, eine gänzlich neue Grundschule ist inzwischen an der Chaussee-/Boyenstraße (und damit im Wedding) gebaut worden. Aber ein – durchaus sinnvoller – S-Bahnhof Perleberger Straße, der den Norden des Gebiets hätte erschließen können, wird an der neuen S-Bahn-Strecke S 21 erst einmal nicht gebaut.
Raum für Unfertiges?
Auch eine Straßenbahnstrecke ist bei der erst 2016 fertiggestellten Heidestraße nicht mitangelegt worden. Im Moment zuckelt statt dessen Montag bis Samstag tagsüber alle 20 Minuten der 142-er Bus in den Wedding, nicht gerade ein attraktives Angebot für ein urbanes Stadtquartier, wie es die Immobilienentwickler versprechen. Zu Fuß kommt man in Zukunft besser voran: Damit die Schulkinder überhaupt zur Schule gelangen können, wird auf Höhe der Kieler Straße am Bundeswehrkrankenhaus eine neue Fußgängerbrücke über den Schiffahrtskanal gebaut.
Es wird sich zeigen, ob die derzeit entstehenden großformatigen und ziemlich einförmig wirkenden Bauklötze auf Anhieb so etwas wie eine städtische Qualität bewirken können. Dazu gehört, dass in diesem mit Privatkapital gebauten Neubaugebiet die angestrebte soziale Mischung auch tatsächlich erreicht wird. Und dass Raum für Nicht-Kommerzielles, keinen Gewinn Versprechendes und Unfertiges gelassen wird. Denn eine solche Mischung aus Wohnen, Gewerbe und eben auch ein paar Freiräumen zeichnet den Wedding aus, der gleich hinter den Brücken anfängt. Bald prallen am Nordhafenbecken zwei Welten aufeinander, die sich erst aneinander gewohnen müssen. Man wird sehen, ob aus der Nachbarschaft so etwas wie ein freundliches Miteinander werden kann.
Dieser Artikel erschien zuerst bei www.weddingweiser.de.