Plätze strahlen im besten Falle Geborgenheit aus oder entfachen das Gefühl, im Mittelpunkt von etwas Großartigem zu stehen. Der Moritzplatz in Kreuzberg fällt nicht unter diese Kategorie. Er wirkt nicht mehr kalt und verlassen wie noch vor einigen Jahren, aber auch nicht fertig und erst recht nicht geschlossen. Am Nordost-Ende des Platzes ist die herkömmliche Geometrie mit ihren geraden Kanten, die ein Quadrat bilden, noch erkennbar. Im Südwesten steht seit acht Monaten das Aufbau-Haus, das als Pionierprojekt der Reurbanisierung kriegs- und mauerzerstörter Areale viel Lob bekommen hat. Die übrigen Platzkanten sind bislang nur Grünflächen. Die Prinzessinnengärten, ein soziales Projekt zur Förderung der städtischen Agrikultur, haben jedoch lokal und international viel Resonanz erfahren.
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) versucht auch beim Moritzplatz eine Stadtplanung von unten anzuschieben, bevor dann (zwangsläufig) das Oben in Gestalt eines Investors hinzukommt. Umstritten ist besonders die Freifläche, auf der die Stadtgärtner ihre Gemüsebeete bearbeiten. Vor dem Krieg befand sich genau dort ein Wertheim-Kaufhaus, das einen zentralen Anlaufpunkt für das lebendige Viertel darstellte. Supermärkte hätten schon ihr Interesse für das Gelände angemeldet, sagt Schulz, aber für eine „schnöde Bebauung“ möchte er diese Perle nicht hergeben. Die Pläne für ein polnisches Handelszentrum waren schon weit gediehen, ehe die Finanzierung scheiterte. Der Liegenschaftsfonds verwaltet das Grundstück, äußert sich aber nur sehr zurückhaltend zur Vermarktung.
Bürgerbeteiligung hat Priorität
Schulz möchte die Anwohner und Kreativarbeiter aus der Gegend in den Prozess der Ideenfindung einbinden. Es soll ergebnisoffen zugehen, am Ende könnte das Resultat auch sein, das Wertheim-Grundstück so unbebaut zu lassen, wie es ist. Allerdings dürfte da der Finanzsenator als Sachwalter des Landesvermögens etwas dagegen haben.
Andreas Krüger ist Geschäftsführer von Modulor-Projekt, einem Ableger des Künstler- und Bastlerbedarf-Händlers Modulor, der im Aufbau-Haus residiert, gemeinsam mit dem Aufbau-Verlag, einer Buchhandlung und kleineren Gewerbetreibenden. Krüger hat an Schulz‘ „Beteiligungsprozess“ schon teilgenommen, bevor aus der leer stehenden Bechstein-Klavierfabrik das Aufbau-Haus wurde. Monatelang redete Krüger mit den Leuten aus der Nachbarschaft, vom Tankstellenpächter bis zum Dönerwirt. „Ich wollte sondieren, was es in dieser verlassenen, verkarsteten Gegend braucht.“ Die vorherrschende Meinung: Es braucht Leute mit Motivation, die etwas tun und andere mitreißen. Die Menschen aus den umliegenden Hochhäusern haben häufig wenig Geld, aber viel Zeit.
„Es gibt hier eine dörfliche Struktur mit viel Nachbarschaftshilfe“, sagt Krüger. Und Ängste vor einer Gentrifizierung der Gegend, wenn Investoren und Besserverdiener das Ruder übernehmen. Krügers Modulor-Projekt will den klassischen Gegensatz zwischen Gewinnern und Verlierern einer Aufwertung eines Kiezes mit „niedrigschwelligen“ Angeboten aufheben. So kann man in den Prinzessinnengärten selber etwas anbauen, aber auch im Nähinstitut Linkle stundenweise einen Arbeitsplatz mieten oder lernen, wie man einen „Vintage Bikini“ anfertigt.
Moritzplatz als Forschungsthema
Krüger sieht sich als „Diplomat des Moritzplatzes“. Er würde nie etwas entscheiden, ohne seine Nachbarn zu fragen, versichert er. Das Aufbau-Haus inklusive Modulor sei inzwischen deutlich erfolgreicher als einst erwartet. Das Projekt habe eine Sogwirkung bis in die wissenschaftliche Stadtplanung. „Derzeit forschen 16 Universitäten zum Moritzplatz“, sagt Krüger. Was sie alle umtreibt: Wie hat man es geschafft, in kurzer Zeit einen toten Ort zu neuem Leben zu erwecken?
„Ein Vorteil ist, dass die Politik keinen Masterplan für den Moritzplatz hat“, sagt Krüger. Das war in den Sechzigerjahren noch anders: Der Moritzplatz sollte damals einer Autobahn weichen. Deshalb gibt es zwischen den Hochhäusern der Otto-Suhr-Siedlung der GSW und der Straße Raum für die Grünfläche, die Bürgermeister Schulz unbedingt erhalten will. Die Vorstellung, die offene Flanke des Moritzplatzes zu schließen und wieder ein vollständiges Karree zu errichten, widerspreche der „Heterogenität“ des Ortes, die in seiner historischen Entwicklung begründet liege. Anhänger historischer Stadtstrukturen wird dieses Argument kaum überzeugen.
Das Motel One an der Prinzenstraße, das Café Zera im gegenüberliegenden Hochhaus, die Bar im Aufbau-Haus – erste gesellschaftliche Treffpunkte sind etabliert. Beim Wirt der Eckkneipe „Zum kleinen Mohr“ kehren inzwischen Touristen ein. Das Aufbau-Haus bezeichnet er dennoch als „potthässlichen Klotz“ und die Prinzessinnengärten als „Quatsch“. Er findet: Da sollte etwas entstehen, „das nach was aussieht“.
Die Landschaftsarchitekten des Planungsbüros Hennigsen haben einen Entwurf für eine mögliche Gestaltung des Moritzplatzes angefertigt. Er sieht vor, die Mittelinsel zu verkleinern und dadurch mehr Plätze mit Aufenthaltsqualität vor den Gebäuden zu schaffen. Dort könnten Bänke unter Bäumen entstehen. Die Grünanlage an der Otto-Suhr-Siedlung soll attraktiver werden, auf der Seite der Prinzessinnengärten sind Neubauten vorgesehen. Der Tagesspiegel lädt am morgigen 15. Mai um 17 Uhr zu einer Diskussion über die Pläne des Büros Hennigsen in das Theater Aufbau im Aufbau-Haus am Moritzplatz, Prinzenstraße 85.
Das QIEZ-Team ist ebenfalls vor Ort und beantwortet gern Ihre Fragen.