Im angesagten 24/7 Frühstückslokal Benedict einen Platz zu bekommen, ist dieser Tage schwer. „Aber ich bin hier wirklich gern“, entschuldigt sich Natalia Avelon für ihre Wartezeit-intensive Locationwahl und spätestens als köstliche Pancakes, die namensgebenden Eggs Benedict, Avocado-Bagels und ein englisches Frühstück unseren Tisch füllen, haben wir ihr verziehen. Das Essen ist toll, nur leider kann Natalia Avelon nicht alles genießen. „Ich schwelle an und bekomme Ausschlag“, erklärt die 37-jährige Schauspielerin mit echtem Bedauern. „Als Kind war ich ständig krank und niemand wusste warum. Seit anderthalb Jahren bin ich jetzt auf einer besonderen Diät, bei der ich Weizenmehl, Eier und noch vieles mehr meiden muss“, seufzt sie und motiviert sich gleich wieder selbst: „Seither habe ich keine Migräne mehr, mein Körper ist fit, meine Blut- und Leberwerte sind besser und natürlich meine Haut.“ Beim Bestellen kommt sie sich sehr Diven-mäßig vor, aber wir möchten an dieser Stelle betonen, dass Natalia kein Hipster-Allergiker oder Size-Zero-Fanatiker ist. Im Gegenteil, mit ihren Blicken verschlingt sie die Pancakes und die üppige Portion Bacon mit Bohnen auf ihrem Teller bewältigt sie spielend.
Die Schauspielerin wird oft mit Vorurteilen konfrontiert, zum Beispiel weil sie aus Polen stammt. Erst mit acht Jahren siedelte Natalia Avelon mit ihrer Familie nach Deutschland, wo sie zwei Jahre im Asylantenheim lebten, bis sie in Ettlingen eine neue Heimat fanden: „Dass in meiner Familie Autoschieber zu finden sind, höre ich nicht mehr so oft, seit die Grenzen offen sind“, erzählt Natalia lachend. Weniger zum Lachen ist, dass sie erst neulich von einem Berliner Taxifahrer bepöbelt wurde, weil ihre Eltern polnisch sprachen. „Plötzlich hat der auf nichts mehr geantwortet, war bissig und hat mir das Kartengerät hingeschmissen. Echt hart.“ Ihre Beschwerde beim Unternehmen verlief im Sand. Eine zweite Grundlage für Klischees bietet ihre Schönheit. „Oh, danke“, freut sie sich ehrlich, „Komplimente hört man nicht oft. In meiner Branche, nein, eigentlich auch in unserer Gesellschaft, gilt man ja ständig als zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein… Das ist traurig. Wir sollten damit aufhören und lieber jeden fördern in seinem Einzigartigsein und in Schwächen Talente entdecken!“ Das ist kein oberflächliches Geplänkel. Es regt sie auf, dass nicht alle Menschen die gleichen Chancen bekommen.
Motivieren für eine bessere Welt
Wer weiß, ob hinter dem Tresen am Zeitungskiosk, in den wir gewechselt sind, ein unentdecktes Malergenie schlummert „Welche Lobby bestimmt, wie man sein muss?“ Eine Antwort darauf können wir Natalia Avelon nicht geben, aber wir überreden sie, Lotto zu spielen, um mit ein paar Millionen die Welt zu verändern. „Es passiert in der Welt ja schon viel Positives, auch wenn die Zeitungen nur von Kriegen, Flüchtlingen oder dem Brexit berichten“, lenkt sie ein. „Man muss über den Tellerrand gucken, in alle Richtungen. Mich motiviert es zu sehen, wenn Menschen Gutes bewirken.“
Als der Schauspielerin vor zehn Jahren als Uschi Obermaier in Das wilde Leben der Durchbruch gelang, stand die passende Schublade sofort bereit. „Ich habe viele Rollen abgesagt, weil alle nur noch die kleine Sexbombe in mir gesehen haben. Bei einigen Filme musste ich zusagen, um meine Miete zu bezahlen“, gesteht sie. „Es hat lange gedauert, mich davon zu befreien. Diese Beschränkungen in der Kunst sind doch armselig.“ Deswegen lassen wir uns jetzt auch nicht von Kiezgrenzen aufhalten und machen uns auf in den Bücherbogen nach Charlottenburg.
Kunst rettet keine Leben
Hier entdeckt sie gleich mehrere spannende Kunstbände, die sie faszinieren. „Kunst rettet vielleicht keine Leben, aber Kunst kann durchaus helfen, Probleme zu bewältigen„, begeistert sie sich. „Wenn Menschen sich durch Kunst verstanden fühlen, bringt sie das weiter. Oder Teenager, die sich Idole suchen, um für sich einen Weg zu finden: Wenn mir junge Frauen schreiben, dass sie sich als hässlich empfinden, dann fühle ich mich verantwortlich. Es ist mir wichtig, dass die begreifen, dass retuschierte Fotos oder die Traumwelt Film nicht gleichzusetzen sind mit der Realität. Die Wahrheit ist doch, dass ich mich zu Hause auch mal schlecht fühle, mich anzweifele oder denke, dass mir weibliche Rundungen fehlen.“ Apropos zu dünn: Während unsere Mägen das Frühstück noch in bester Erinnerung haben, hat die zierliche Natalia Avelon schon wieder Hunger. Wir schlendern zum Simela. „Hier gibt es glutenfreie Pizza, die wirklich schmeckt.“
Natalia ist eindeutig ein Genussmensch… und niemand, der gern Erwartungen erfüllt. Schon als Kind war sie sehr willensstark, nicht immer zur Freude der Eltern, ausgesprochen aktiv und schnell: „Ich konnte sogar Schmetterlinge mit zwei Fingern am Flügel fangen.“ Heute ist sie ruhiger – ok, etwas ruhiger. „Die Emanzipation, die ich mir wünsche, wäre übrigens Entspannung. Wir setzen uns viel mehr unter Druck als die Männer, innerlich und äußerlich.“ Und auch wenn sie den Begriff Feministin nicht mag, weil er ihr zu schwammig ist, erkennen wir frauenfördernde Züge auf ihrem Debütalbum, das sie gerade herausbringt. In ihrer Band spielen nämlich nur Frauen, abgesehen von dem Quotenmann am Schlagzeug. „Eigentlich wollte ich Johannes rausschmeißen“, behauptet sie und muss dann lachen, „aber der ist einfach zu gut und passt super in die Band.“ Sie mag Männer und „Männer sollen Männer bleiben, aber eben Frauen respektieren und schätzen.“ So wie ihre Facebook-Verehrer, die alle höflich und zurückhaltend um ein Date bitten. „Das ist echt süß, dass sie alle sagen, dass sie so etwas sonst nie machen und nur einen Kaffee trinken wollen.“
Liebe als Motivator
Auch wenn sie seit einigen Jahren Single ist, bleibt Liebe natürlich immer ein Thema. „Ohne Liebe würde ich eingehen.“ Ihr Album, Love kills heißt es, dreht sich nicht nur um die schönen Seiten der Liebe. „Ich verarbeite in meiner Musik sehr viel, auch Schmerz, klar. Meine Großeltern sind gestorben, meine Beziehung ging nach vier Jahren in die Brüche, ich habe Freunde verloren, weil wir uns nicht mehr verstanden haben, das alles hat mich verletzt und steckt nun in den Songs.“ Vor den Kritikern hat sie keine Angst und das verdankt sie den Jungs von N.E.R.D., die mit ihr am Album gearbeitet haben. „Du hast einfach alles erreicht, wenn deine Idole gut finden, was du machst. Das kann dir keiner nehmen.“ Mit von N.E.R.D. gestärktem Rücken, freut sie sich auf alles, was kommt. „Wenn du lernst, auf Dinge zu pfeifen, öffnen sich plötzlich Türen statt Schubladen!“
Wir wandern zurück nach Wilmersdorf, zu ihrem Obsthändler Vitaminchen. In solchen Läden kauft sie gern ein. Was ihr weniger liegt, ist das Fashion-Shopping. „So Touren mit Freundinnen mache ich nie. Am liebsten kaufe ich meine Sachen online oder kurz und schmerzlos direkt vor Ladenschluss“, gibt sie zu. Ihre freie Zeit verbringt sie viel lieber im Grünen – das Landei in ihr. Manchmal reicht es nur bis zum kleinen Park am Olivaer Platz, wo sie mit Hundebesitzern über ihre Tiere redet. Sie hatte selbst immer Hunde, neben Meerschweinchen, Hasen, Kanarienvögeln und Katzen… im Moment taugt ihr Leben nicht für ein eigenes Tier.
Glücksbringer fürs Leben
Als wir uns von ihr verabschieden, fällt uns noch ein kleines Tattoo am Handgelenk auf. „Das ist einer meiner Glücksbringer, der David-Bowie-Blitz.“ Auch ihre anderen Tattoos sind so klein, dass ihr Tätowierer daran verzweifelt. „Ich mag einfach lieber unberührte Flächen auf dem Körper, und wer sagt mir, dass ich ein riesiges Bild auf dem Unterarm auch in zwanzig Jahren noch schön finde?“ Wir wünschen ihr auf jeden Fall weiterhin viel Glück. Ach ja, im Lotto hat Natalia Avelon übrigens 8 Euro gewonnen. Wir leider nichts.
Das Album Love Kills