Neonazi-Vergangenheit in Lichtenberg

Wie rechts ist der Weitlingkiez?

Blick in die Weitlingstraße in Lichtenberg
Blick in die Weitlingstraße in Lichtenberg
Der Weitlingstraße in Lichtenberg sind Probleme mit Neonazis vertraut. Doch dank engagierter Bürger wandelt sich das Bild der Straße.

Ein schlechtes Image hatte die Lichtenberger Weitlingstraße bereits zu Wendezeiten. Damals besetzten das Haus Nummer 122 unter anderem Männer wie Kay Diesner, der 1997 einen linken Buchhändler niederschoss und während der Flucht einen Polizeibeamten tötete. Am letzten Wochenende waren im Kiez plötzlich Rudolf-Heß-Porträts an den Wänden zu sehen; in der Lückstraße befindet sich ein unter Neonazis der ganzen Stadt bekannter Treffpunkt für Rechtsradikale. Am Mittwoch dieser Woche wurde Sozialsenatorin Dilek Kolat (SPD) von Experten für Rechtsextremismus und von Anwohnern durch den Kiez geführt. Und trotz aller Dinge, die dagegensprechen, liegt sie richtig, wenn sie sagt: „Was sich seit den 90ern geändert hat, hätten sich viele nicht vorstellen können. Das war aber nur mit langem Atem möglich.“

In Neu-Hohenschönhausen in Lichtenberg lebt Evrim Sommer. Die Übersetzerin ist gebürtige Türkin und hat im Abgeordnetenhaus einen Sitz für die Linke inne. „Klar, die Nazis sind ein Problem, aber man sollte keine Ängste schüren“, so Sommer. Zumindest wurde sie – die Linke mit kurdischem Hintergrund – aus ihrem Neubaugebiet in Hohenschönhausen direkt ins Abgeordnetenhaus gewählt. Wichtiger als Panik sei es, sich den Rechten entgegenzustellen, meint Sommer: „Ich laufe durch Schöneweide, ich laufe durch Lichtenberg.“ Canan Bayram, eine Grüne mit türkischen Wurzeln, sieht das ähnlich. Bayram lebt in Friedrichshain und fährt oft durch den Ostteil Berlins. Klar sei es ein Unterschied, ob man mit der U5 oder der U9 unterwegs ist. „Ich gehe dennoch eher in den Tierpark als in den Zoo“, so Bayram. Am Bahnhof Lichtenberg sei sie aber vorsichtig. Ihr Kollege in der Partei Özcan Mutlu gibt zwar ebenfalls an, dass er sich in der Stadt überall hinbewege: „Doch viele Türken meiden den Osten immer noch.“

Hausprojekte für Linke in Planung

Die NPD kommt auch in der Weitlingstraße auf fünf Prozent – berlinweit nur auf 2,1. Und in der Lückstraße wurde am 20. April der Geburtstag von Hitler unüberhörbar gefeiert. Aber in Lichtenberg hat sich vieles deutlich verbessert – was auch mit Menschen wie Andreas Wächter zusammenhängt. Er ist der Koordinator eines Bundesprogramms in Lichtenberg für den Kampf gegen Rechtsradikale und erläutert Senatorin Kolat am Mittwoch gewissermaßen das Gerüst der Kiezhilfe: Nachbarn, Vereinsmitglieder, Schulvertreter und Einwanderer ansprechen, ein Netzwerk knüpfen, sich mit lokaler Politik und Behörden klar absprechen, auf rechtsorientierte Aktionen eine Reaktion zeigen, eigene Botschaften senden.

Kolat spricht – im Hinblick auf die vielen Initiativen von Bürgern der Stadt – von einem „Vorbild, einem Positivbeispiel“ im Weitlingkiez. Nicht nur, weil sich zahlreiche Menschen mit vietnamesischem Hintergrund, die seit den Achtzigerjahren hier ihren Lebensmittelpunkt haben, in der Nachbarschaft engagieren. Sondern auch, weil die lokalen Politiker die Problematik offen angehen. Die ehemalige Bürgermeisterin des Bezirks Christina Emmrich (Linke) half vor einigen Jahren der Antifa-Kampagne „Hol dir den Kiez zurück“, die die Organisation von Konzerten und Demonstrationen übernahm. Schmierereien von Rechten werden seither mit höherem Tempo beseitigt, italienische Pizzerien eröffnen, im dereinst von Rechtsradikalen besetzten Haus wohnen Mieter, die sich als links begreifen. In absehbarer Zeit werden Dutzende WGs nahe der Weitlingstraße einziehen. Es ist geplant, dass in drei Gebäuden Hausprojekte für bis zu 150 Linke entstehen, denn die Preise sind im Vergleich recht niedrig.

 


Quelle: Der Tagesspiegel

Wie rechts ist der Weitlingkiez?, Weitlingstraße, 10317 Berlin

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