Über rund 2000 Bücher verfügt die Bibliothek des Vereins Each One Teach One (EOTO). Eine wertvolle Fundgrube an Schwarzer Literatur, welche die im Alter von 48 Jahren ihrer langen Krankheit erlegene Vera Heyer (1947 – 1995) zusammengestellt hat. Da gibt es Zeitschriftenartikel, Sachbücher, wissenschaftliche Arbeiten, Biografien und natürlich allerlei Romane. Allesamt von AutorInnen aus Afrika, von vielen Afro-AmerikanerInnen und auch so einigen Afro-Deutschen – und damit von Menschen, deren Perspektive in Deutschland lange Zeit wenig bis keine Beachtung gefunden hat.
Der Verein EOTO verwirklicht nun die Vision von Vera Heyer und stellt mit Fördergeldern des Projekts „Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel“ des Bezirksamtes Mitte ihr umfangreiches Archiv in einer eigenen Bibliothek der Öffentlichkeit zur Verfügung.
In dieser Bibliothek ist Reden ausdrücklich erwünscht
In diesen mit reichlich Büchern bestückten Räumen soll nicht nur still gelesen werden, sondern ein reger Austausch stattfinden. Am besten intergenerational, wünscht sich Tina Bach vom Vereinsvorstand. Für sie und ihre MitstreiterInnen ist die Bibliothek eine echte Herzensangelegenheit. Hier soll ein Ort der gemeinsamen Wissensbildung und des Erfahrungsaustausches entstehen, wobei die Perspektive Schwarzer Personen gestärkt, in den Fokus gestellt und in die Mehrheitsgesellschaft getragen wird.
Alle Interessierten sind eingeladen, in den Regalen zu stöbern, zu den Lesungen zu kommen, sich selbst einzubringen, neu auszudrücken und einander zuzuhören. Und wer nicht vorbeischauen kann, dem stattet das Team vielleicht mal als mobile Bibliothek einen Besuch ab. Tina Bach hat dazu verschiedene Pläne: Sie möchte die Bücher in Schulen und Kindergärten bringen, dort gemeinsam lesen – oder auch mit jugendlichen VorleserInnen Altersheime besuchen.
Für die Wochen nach der Eröffnung gibt es schon einige feste Termine. Jeden Mittwoch wird eine offene Schreibwerkstatt für Schwarze und People of Color von 13 bis 19 Jahren angeboten. Zusammen mit Bahati Glaß können die Jugendlichen ihre eigene Kreativität entdecken und in schriftlichen Texten, Spoken Word oder Musik und Comics ihre Erfahrungen und Gedanken ausdrücken. In Gedenken an Nelson Mandela wird am 28. März und am 4. April vormittags aus seinem Buch „Meine afrikanischen Lieblingsmärchen“ vorgelesen. Stadtführungen zur Geschichte und Gegenwart des „Afrikanischen Viertels“ sind für den 1. April, den 3. Mai und den 7. Juni geplant.
Wie alles begann
Auch Vera Heyer erstellte ihr Archiv auf eigene Kosten und neben ihrem Beruf. In ihrer Freizeit durchstöberte sie Antiquariate und Buchläden nach jeglicher Literatur von Schwarzen AutorInnen. Mit ihrer Sammlung leistete sie einen wichtigen Beitrag für die Bewahrung und die wissenschaftliche Aufarbeitung der Lebenserfahrung Schwarzer Menschen. Ihre Bestände waren schon zu ihren Lebzeiten Quellen für diejenigen, die sich etwa in Diplomarbeiten oder Zeitungsartikeln dem Thema widmeten. So bezog etwa die afrodeutsche Poetin und Aktivistin May Ayim viele Informationen aus Heyers Archiv. Damit konnte sie ihre umfassende Arbeit zur Geschichte Schwarzer Deutscher, ein bedeutendes Grundlagenwerk für die deutsche Forschung, verfassen.
Nicht nur ihr Beitrag zur Sichtbarmachung Schwarzer Deutscher Geschichte und Lebenswirklichkeiten verband Vera Heyer und May Ayim. Beide schöpften aus der Literatur Schwarzer AutorInnen und aus dem Entdecken ihrer eigenen Geschichte auch viel Kraft gegen den alltäglichen Rassismus und die Diskriminierung, die ihnen widerfuhr – und beide starben viel zu früh.
Auf der Beerdigung von May Ayim, die sich 1996 das Leben nahm, lernten sich einige der späteren GründerInnen von EOTO e.V. kennen. Das geistige und materielle Erbe beider Frauen zündete schon damals die Idee, in Heyers Sinn eine Bibliothek zu eröffnen. Doch erst als dann einige von ihnen ihren Wohnsitz nach Berlin verlegten, konnte das Projekt 2012 in Angriff genommen werden.
Ein anderer Ort kam für die Bibliothek nie in Frage. Berlin war schon immer der Dreh- und Angelpunkt der Schwarzen Deutschen Bewegung: Die berühmte US-amerikanische Poetin und Theoretikerin Audre Lorde stieß mit ihren Vorlesungen an der Freien Universität ein neues Selbstbewusstsein vor allem der Afro-deutschen Frauen an, May Ayim lebte in dieser Stadt und Vera Heyers Archiv lagerte hier in Kisten. Die Sammlung auseinanderzunehmen und schlicht an andere Bibliotheken zu verteilen, stand auch nie zur Diskussion.
Am 21. März feiert der Verein „Each one Teach one“ die Eröffnung der Bibliothek in der Müllerstraße mit einem breiten Programm ab 17:30 Uhr. Mehr Infos gibt es hier.