Irgendwas ist anders an der Oranienburger Straße… der Gedanke überfällt wohl jeden, der nicht in Mitte wohnt, oder jede, die das Zentrum des Szeneviertels wegen der vielen Tourist*innen meidet. Die Auflösung: Die riesige Baustelle ist weg. Das Forum an der Museumsinsel ist fertig. Nach zwanzig Jahren! Wer das feiern möchte, sollte direkt ins Dieselhaus gehen. Das neue Restaurant auf dem Areal bietet nicht nur bayerisches Bier zum Anstoßen, sondern auch beste, deutsche Küche, sehr viel Industriecharme und lässigen Berliner Flair.
Den perfekten Rahmen für das kulinarische Erlebnis bilden also Gebäude aus vier Jahrhunderten – das Älteste ist ein Logenhaus von 1791, das Neueste stammt von David Chipperfield aus unserem Jahrhundert. Das Restaurant selbst befindet sich in einer Halle, in der die Reichspost in den 1920er Jahren ihre eigene Not- und Ersatzstromversorgung untergebracht hatte. So war die Kommunikationszentrale unabhängig vom Berliner Stromnetz. Ein echter Eyecatcher ist heute noch ein riesiger Schiffsdiesel, der hier im Zweiten Weltkrieg seinen Dienst tat. Und auch sonst wurde bei der Renovierung des Lokals darauf geachtet, dass die Historie Teil des Raumkonzepts ist.
Wenn du aus dem Staunen herausgekommen bist, lohnt sich ein Blick in die Speisekarte. Wir starten ganz klassisch mit einem kleinen Brotzeitbrettchen (9 Euro), Obatzter (11 Euro) und Brezn (3 Euro) zum feinen Bier aus dem Hofbräuhaus Traunstein. Falls du nicht so auf Hopfen und Malz stehst: Der Grüne Veltliner vom österreichischen Weingut Jurtschitsch passt auch wunderbar dazu, wie wir feststellen dürfen. Die Weinkarte ist klein, aber mit Sorgfalt ausgewählt, so dass alle Weine die deftigen Speisen mit Charakter begleiten können.
Wir sind nach den Vorspeisen bereit für weitere Klassiker: Wir stellen uns breit auf und wählen die Spinatknödel (12 Euro), das Zanderfilet (26 Euro) und Münchner Schnitzel (22 Euro). Eine gute Wahl. Die vier Spinatknödel sind wunderbar saftig und zergehen auf der Zunge. Als ebenso zart erweist sich das Zanderfilet, das durch Nussbutter, Rahmsauerkraut und Kartoffelpüree bestens ergänzt wird. Das Münchner Schnitzel stammt vom Schwein und ist mit Meerrettich mariniert. Diese Art kannten wir noch nicht und sind aber ab sofort Fans der aromatischen Kombination. Dazu gibt es im Dieselhaus lauwarmen Kartoffelsalat und handgerührte Wildpreiselbeeren.
Es heißt ja, ein guter Schnaps macht Platz für das Dessert. Das stimmt vermutlich nicht ganz, aber wir sind neugierig. Daher nehmen wir einen Odl, einen handgefertigten Kräuterlikör aus dem Chiemgau, und einen Bavarotti, der den charmanten Beinamen trägt „Bayerns dunkle Seele“. Beide Kräuterliköre hinterlassen einen starken Eindruck, sind aber trotzdem sehr sanft am Gaumen und so lecker, wie der Nachtisch selbst.
Ja, wir schaffen dann tatsächlich noch: einen halbgebackenen Schokokuchen. Ob das nun an dem harten Alkohol liegt oder nicht, wir lassen nichts übrig. Der Kuchen mit Sauerkirschen und bayerischen Bierlikör-Eis bringt das süddeutsche Lebensgefühl gekonnt auf den Teller. Dass wir uns dem Süden ganz nah fühlen, mag auch daran liegen, dass wir für das Dessert noch einmal auf die große Terrasse gewechselt sind. Hier sieht man die Pracht des Gebäudeensembles im Sonnenuntergang und genießt die Ruhe – mitten in Mitte.