„Ich glaube, es gibt nichts auf der ganzen Welt, was du in Berlin nicht lernen kannst – außer der deutschen Sprache„, soll Mark Twain 1892 nach seinem Berlin-Aufenthalt gesagt haben. Und Sam Vance-Law kann dem amerikanischen Schriftsteller auch im Jahr 2018 voll und ganz zustimmen: „Manche Leute in Berlin sprechen ja sogar Deutsch, aber im Großen und Ganzen kommt man hier sehr gut mit Englisch zurecht“, weiß Sam. Dennoch spricht der kanadische Songschreiber, der seit acht Jahren in Berlin lebt, fließend deutsch: „Wenn ich zurück nach Kanada fliege und meine einzigen deutschen Wörter Bier und Döner wären, dann wäre das total peinlich“, erzählt uns Sam, als wir uns an einem Donnerstagabend im Circus Lemke, eine von Sams Lieblingsbars, treffen.
Die gemütliche Kneipe mit Kachelofen, gedämpftem Licht und Obstler auf der Karte befindet sich zwischen Tempelhofer Feld und Hermannstraße, mitten im Schillerkiez. Sam kommt vor allem wegen der Musik hierher: „Es läuft immer gute Mucke, manchmal gibt es auch Live-Musik und später wird’s immer richtig voll“, sagt er während vor uns bereits die ersten Flaschen Bier geöffnet werden. Der 30-Jährige hat gerade sein Debütalbum Homotopia veröffentlicht – ein schwules Manifest und musikalisches Wunderwerk, das beweist, dass Sam ein beeindruckendes Talent für feierlichen Kammerpop hat. Dass der Sänger jedoch ganz ohne Pop-Musik groß geworden ist, sondern aus dem Bereich der klassischen Musik kommt, mag man beim Hören der Platte kaum glauben.
QIEZ: Wann wusstest du, dass du Musiker werden wirst?
Sam Vance-Law: „Ich habe mit fünf Jahren angefangen, Geige zu spielen. Mit neun Jahren kamen dann noch Klavier und Gesang dazu. Als ich vier Jahre alt war, zog ich mit meiner Familie aus dem kanadischen Edmonton nach England. Dort sang ich für den Choir of New College Oxford, mit dem ich mehrere Alben aufnehmen konnte. Mit 16 Jahren bin ich wieder zurück nach Kanada, wo dann alles in Rollen kam: Durch meine Freunde, die mir Bands wie New Order zeigten und die gleiche Leidenschaft für ihre Lieblingsbands aufbrachten wie ich für die Werke der klassischen Musik, fing ich dann Feuer für die Pop-Musik. Einige meiner Freunde spielten selber in Bands und hatten Auftritte. Das wollte ich auch.“
QIEZ: Wann und warum bist du nach Berlin gekommen?
Sam Vance-Law: „Ich bin vor acht Jahren hergezogen. Damals besuchte ich einen Kumpel und wollte eigentlich nur zwei, drei Monate hierbleiben. Naja, jetzt ist es ein bisschen länger geworden. Ich wohne immer noch in meiner ersten Wohnung in Neukölln, aus der ich wahrscheinlich auch nie ausziehen darf, weil ich mir alles andere mittlerweile nicht mehr leisten könnte.“
Mit Sam Vance-Law zu plaudern, ist extrem angenehm und einfach. Ebenso offen und reflektiert singt der kanadische Wahl-Berliner mit der zarten, dunklen Stimme, die an Adam Green erinnert, über Aspekte des schwulen und queeren Lebens. „Homotopia sind Geschichten, die ich gehört oder gelesen habe, über das Für und Wider der Homosexualität. Es geht darum, wie Menschen 2018 mit dem Schwulsein umgehen oder eben nicht, weil sie ihre Sexualität geheim halten, es geht um Selbstliebe und Selbsthass, um Wut und Freude, Höhen und Tiefen, Stolz und Trauer – Geschichten über das Leben.“ So singt Sam in seinem Song Narcissus 2.0 mit spitzfindigem Humor: „Yes I would sleep with myself, if I were just a bit hotter / Yes I would sleep with myself, if I were just a bit smarter / Yes I would sleep with myself, if I were you.“ Ein Liebeslied, an jemanden, den man für etwas schätzt, was man selbst nicht hat, gepaart mit einer gelungenen Portion Gesellschaftskritik an unserem Zeitalter des Narzissmus, in dem Photoshop zum guten Ton gehört.
QIEZ: Hast du dich schon mal gegoogelt?
Sam Vance-Law: „Na klar, aber nur für Bilder. Ich war früher viel mit Dear Reader und Wallis Bird unterwegs. Damals gab’s nur Bilder von mir und den Bands. Seitdem ich solo unterwegs bin, hat sich das geändert.“
QIEZ: Was für ein Cocktail wärst du, wenn du hier auf der Karte stehen würdest?
Sam Vance-Law: „Ein Manhattan, das ist mein Lieblingscocktail. Ich weiß gar nicht genau, was da drin ist… Bourbon vielleicht?“
QIEZ: Verrätst du uns ein Geheimnis über dich?
Sam Vance-Law: „Ich trinke heute nur alkoholfreies Bier.“
Sams Debüt Homotopia entstand über drei Jahre hinweg in Berlin. Zu Beginn hatte Sam noch keine Plattenfirma und verdiente sein Geld mit verschiedenen Nebenjobs. Vom Babysitter und Englischlehrer bis hin zum Aushilfsmusiker: „Bei einem dieser Jobs durfte ich Verena Gropper, die Violinistin von Get Well Soon, vertreten. Im Backstage habe ich dann den Sänger und Produzenten Konstatin Gropper kennengelernt.“ Konstantin Gropper bekam dann auch als einer der Ersten die Homotopia-Entwürfe zu hören. „Er sagte: ‚Hey, geile Platte! Aber ich hätte da noch ein paar Ideen'“, erinnert sich Sam. Und so feilten sie gemeinsam an Sams Debüt. Ein weiteres bekanntes Gesicht entdeckt man auch in Sams Video zu Pretty Boy: Sein Labelkollege Max „Drangsal“ Gruber spielt darin einen klavierspielenden Pfleger in einem Altersheim voller dandyhaften Rentnern. Und mittendrin der „Prettyboy“ Sam Vance-Law.
QIEZ: Homotopia wird bereits jetzt als ganz großer Wurf gehandelt. Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?
Sam Vance-Law: „North America take over, baby! Berlin ist zwar mittlerweile meine Heimat – ein Ort, an dem alle ein bisschen verrückt sind und ich glaube, ich passe hier gut rein. Ich freue mich auch schon auf meine Tour durch Deutschland. Aber Live-Shows in Kanada und Amerika wären auf jeden Fall auch sehr cool.“
Sams Release-Konzert am 3. März 2018 ist bereits ausverkauft. Wer den charmanten Sänger aus Kanada live erleben will, sollte sich Tickets für den 26. Oktober 2018 sichern, denn da spielt Sam Vance-Law im Rahmen seiner Homotopia-Tour im Lido. Wir trinken unser (alkoholfreies) Bier aus und bedanken uns bei Sam für den schönen und amüsanten Abend.